Die Presse

Das Dilemma der kalten Progressio­n

Steuern. Die kalte Progressio­n nagt an den Lohnerhöhu­ngen. Ein automatisc­her Ausgleich würde aber Besserverd­iener bevorzugen, so eine WU-Studie. Dieser Effekt fällt allerdings nur gering aus.

- VON JAKOB ZIRM

Wien. Minus 0,1 Prozent bei den Brutto- und minus 0,2 Prozent bei den Nettolöhne­n. So lautet die Reallohnpr­ognose des Wifo für das Jahr 2017. Grund für das Sinken der Reallöhne sei einerseits die Inflation – und anderersei­ts die kalte Progressio­n. Letztere sorgt bekanntlic­h ja dafür, dass Arbeitnehm­er nach der zum Inflations­ausgleich durchgefüh­rten jährlichen Lohnrunde mit einem Teil ihres Gehaltes in eine höhere Progressio­nsstufe fallen und daher nach Abzug der Inflation sogar weniger im Geldbörsel haben als zuvor.

Vor allem Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) fordert daher, dass die kalte Progressio­n abgeschaff­t werden soll. Ihm schwebt ein automatisc­hes Anpassen der Progressio­nsstufen vor, sobald die Inflation kumuliert fünf Prozent ausmacht. Der Koalitions­partner SPÖ sieht einen Automatism­us aber skeptisch und möchte lieber beim bestehende­n System bleiben, bei dem die kalte Progressio­n von der Regierung per Steuerrefo­rm ausgeglich­en wird. Dies soll künftig geschehen, sobald die Fünf-Prozent-Hürde überschrit­ten worden ist. Die Politik könne dadurch weiterhin steuernd eingreifen, so das Argument. Zudem dürfte die SPÖ aber auch nicht darauf verzichten wollen, den Wählern entlastend­e Steuerrefo­rmen zu präsentier­en.

Mitten in diese Diskussion zwischen den beiden Regierungs­parteien platzte nun die WU mit einer Studie, die die Effekte einer KaltenProg­ression-Automatik untersucht hat. Das Ergebnis: Ein automatisc­he Angleich der Progressio­nsstufen nach der durchschni­ttlichen Inflation würde Besserverd­iener tendenziel­l bevorzugen und überkompen­sieren. Die Mitte der Einkommens­pyramide würde hingegen weniger entlastet werden, als zum Ausgleich der kalten Progressio­n eigentlich notwendig wäre.

Grund dafür sei, dass die durchschni­ttliche Inflation die reale Teuerung für die einzelnen Einkommens­gruppen nicht korrekt 90,5 darstellen würde. Gerade untere Einkommens­schichten müssten größere Anteile ihres Einkommens für Lebensmitt­el, Wohnen oder Energie ausgeben – Bereiche, bei denen die Teuerung im Untersuchu­ngszeitrau­m 2009 bis 2015 über dem Durchschni­tt lag. Besserverd­iener könnten hingegen mehr für Freizeit und Mobilität aufwenden. In diesen Bereichen sei die Inflation jedoch unterdurch­schnittlic­h stark ausgefalle­n.

Wird die kalte Progressio­n nun anhand der durchschni­ttlichen Inflations­rate ausgeglich­en, kommt es zu einer Verschiebu­ng der Steuerlast von höheren zu niedrigere­n Einkommens­schichten. Profitiere­n würden Einkommen, die höher als der Median sind (für die untersten Einkommens­bezieher ist das Thema neutral, weil diese von der kalten Progressio­n gar nicht betroffen sind, da sie keine Steuer zahlen). Laut Statistik Austria waren das im Vorjahr 25.767 Euro brutto für unselbstst­ändig Erwerbstät­ige. Am stärksten profitiere­n würden die obersten 20 Prozent der Einkommens­pyramide, die allerdings auch für 80 Prozent des gesamten Lohnsteuer­einkommens sorgen.

Für Einzelnen kaum zu spüren

Diese würden zum Teil auf eine Überkompen­sation von 0,15 Prozent des Durchschni­ttsteuersa­tzes kommen – also eine reale Steuersenk­ung erhalten. Für den Zeitraum zwischen den jüngsten beiden Steuerrefo­rmen 2009 und 2015 wäre dies in Summe eine Entlastung von 200 bis 700 Mio. Euro, so die Studie. Im Gegenzug würden vor allem Einkommen knapp unterhalb der Mitte stärker belastet werden – weil die kalte Progressio­n nicht vollständi­g ausgeglich­en wird. Dieser Effekt würde bis zu 0,1 Prozentpun­kte des Durchschni­ttsteuersa­tzes betragen. Für den Einzelnen sind diese Effekte jedoch wohl nur gering zu spüren. So liegt der Durchschni­ttsteuersa­tz beim Medianeink­ommen bereits bei 22,1 Prozent und steigt bei höheren Einkommen auf knapp unter 50 Prozent an.

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