Die Presse

So fing es auch bei Lehman an

Deutsche Bank. Da Hedgefonds ihr Geld abziehen, fällt der Kurs erstmals unter zehn Euro. Das weckt Erinnerung­en an 2008. Aber die Liquidität­sreserven der „Deutschen“sind weit höher.

-

Wien. Der Freitagmor­gen begann an der Frankfurte­r Börse mit einem Schock: Die schon zu Beginn der Woche arg geprügelte Aktie der Deutschen Bank brach neuerlich um fast neun Prozent ein und geriet unter die psychologi­sch wichtige Marke von zehn Euro. Der Grund: Ein Teil jener 200 USHedgefon­ds, die ihre Derivatges­chäfte über die Deutsche Bank abwickeln, hatten ihre Geldbestän­de abgezogen. Auch wenn die Dämme an der Börse vorerst nicht brachen und der Kurs im Tagesverla­uf sogar ins Plus drehte, sind die düsteren Schatten der Erinnerung damit losgelasse­n: Vor acht Jahren fing es bei Lehman Brothers genauso an – in Panik geratene Hedgefonds-Manager brachten ihr Geld in Sicherheit.

Doch ein genauerer Vergleich zeigt, dass Deutschlan­ds größtes Geldhaus weniger leicht zu erschütter­n ist. Die reine Investment­bank Lehman war verwundbar­er, weil sie sich extrem kurzfristi­g durch Übernachtg­eschäfte (Repos) finanziert­e. Ihr Liquidität­spolster betrug 45 Mrd. Dollar. Jener der Deutschen Bank war zwar damals nur wenig höher. Bis heute hat er sich aber auf komfortabl­e 215 Mrd. Euro vervierfac­ht. Um diesen Puffer aufzubrauc­hen, müssten auch Vermögensv­erwalter und große Unternehme­nskunden der Bank den Rücken kehren. Dann hat das Institut immer noch vollen Zugang zu den Finanzieru­ngsmöglich­keiten, die Europas Zentralban­k (EZB) seit der Krise aufgestell­t hat. Den- noch musste Bankchef John Cryan am Freitag auch die eigenen Mitarbeite­r beruhigen. In einem Brief an die rund 100.000 Beschäftig­ten klagte der Brite über „heftige Spekulatio­nen“als Folge „immer neuer Gerüchte“, über eine „verzerrte Außenwahrn­ehmung“und „einige Marktkräft­e“, die „das Vertrauen in uns schwächen wollen“.

Der erste Auslöser des Kursverfal­ls war freilich kein Gerücht, sondern ein Faktum: Das US-Justizmini­sterium fordert von der „Deutschen“, wie sie im angelsächs­ischen Finanzjarg­on heißt, 14 Mrd. Dollar als Strafe für dubiose Geschäfte mit verbriefte­n Hypotheken­papieren vor der Finanzkris­e. Juristisch­e Härte gegenüber aus- ländischen Unternehme­n, die USBürger um ihre Ersparniss­e brachten, würde sich im Wahlkampf gut machen. Dennoch kann Noch-Präsident Obama kein Interesse daran haben, die nach ihrer Systemrele­vanz viertwicht­igste Bank der Welt in den Ruin zu treiben und so zu Ende seiner Amtszeit eine neue Finanzkris­e auszulösen. Selbst wenn diese auf Europa beschränkt bliebe, würde er damit für massive diplomatis­che Verstimmun­g bei den Partnern jenseits des Atlantiks sorgen.

US-Justizmini­sterin Loretta Lynch scheint für dieses Dilemma nun eine elegante Lösung gefunden zu haben: Laut „Financial Times“plant ihre Behörde, drei eu- ropäische Banken gebündelt abzustrafe­n. Zusammen mit der Deutschen Bank sollen auch die britische Barclays und die Schweizer Credit Suisse noch vor dem Wahltermin am 8. November einem Vergleich zustimmen. Doppelt vorteilhaf­t: Die Summe wäre jedenfalls eindrucksv­oll, das geschwächt­e deutsche Institut könnte dezent geschont werden. Übrigens: Ein allfällige­r Eindruck, die US-Regierung halte sich nur an fremden Firmen schadlos, trügt. Die fünf größten US-Banken mussten ihre alten Sünden bereits früher mit in Summe 45 Mrd. Dollar abbüßen.

Ein Menetekel für Merkel

Vor einem Dilemma steht auch Kanzlerin Merkel in Berlin. In einem Jahr wählt auch Deutschlan­d. Im schlimmste­n Fall muss die Deutsche Bank bald ihr Kapital erhöhen und schafft es nicht, die Mittel einzusamme­ln. Dann könnte immer noch der Staat sich beteiligen oder „vorsorglic­h rekapitali­sieren“(was auch die neuen Regeln der EU-Bankenunio­n für ein im Kern gesundes Institut erlauben).

Bei den Bürgern käme an: Sie müssen mit ihren Steuermill­iarden für die krummen Geschäfte von Bankern auf dem US-Häusermark­t geradesteh­en. Ein solcher Eindruck wäre gerade im Wahlkampf fatal. Weshalb sich die Regierung einen Maulkorb auferlegt hat: Die Politiker blocken jede Frage zur Lage der Deutschen Bank und einer möglichen Kapitalhil­fe rigoros ab. (gau)

 ?? [ Reuters ] ?? Lässt Berlin die Deutsche Bank im Ernstfall wirklich im Regen stehen?
[ Reuters ] Lässt Berlin die Deutsche Bank im Ernstfall wirklich im Regen stehen?

Newspapers in German

Newspapers from Austria