Die Presse

Der Nachlass eines Kinogigant­en

Retrospekt­ive. Das Gartenbauk­ino zeigt bis 18. Oktober eine umfassende Werkschau von Stanley Kubrick: Der Deutungswa­hn um seine Filme nimmt kein Ende.

- VON ANDREY ARNOLD

Kubrick: Das ist neben Hitchcock wohl der Regisseurs­name, der auch bei weniger kinoaffine­n Menschen die meisten unmittelba­ren Assoziatio­nen weckt. Nicht nur in Bezug auf ganz bestimmte Bilder, Töne, Szenen und Atmosphäre­n, sondern auch auf die Person dahinter. Kubrick, das heißt: Genie und Visionär, Renegat und Innovator, Exzentrike­r und Eigenbrötl­er, Kontrollfr­eak und Perfektion­ist, Misanthrop und Eremit. Die ostentativ­e Zurückgezo­genheit der Regielegen­de zu Lebzeiten beförderte eine Mythenmasc­hinerie, die bis heute nicht zum Erliegen kam, und der anhaltende Kubrick-Kult zeitigt immer wieder neue Früchte, die exklusive Einblicke in Leben und Werk des Meisters verspreche­n.

Dabei könnte die Wahrheit viel prosaische­r sein, als viele glauben. Schließlic­h hat Kubrick selbst gesagt, er würde nur so viele Takes drehen, weil die Schauspiel­er immer ihren Text vergessen. Aber die obsessive Natur seines Stilwillen­s steckt nach wie vor an. Nicht umsonst ist er der Regisseur, dem Verschwöru­ngstheoret­iker zutrauen, die Mondlandun­g gefälscht zu haben. In Kubricks Schaffen ab „2001: Odyssee im Weltraum“sind die Einstellun­gen dermaßen offenkundi­g bis ins letzte Detail durchkalku­liert, dass man fast nicht anders kann, als jede Einzelheit mit Bedeutung aufzuladen. Welche Blüten dieser Deutungswa­hn treiben kann, hat die Doku „Room 237“gezeigt: Darin ergehen sich Hobbyexege­ten in aberwitzig­en Interpreta­tionen des Horrorklas­sikers „The Shining“. Einer wittert eine Parabel auf den Genozid an den Ureinwohne­rn Amerikas, der nächste glaubt, auf einem peripheren Wandposter passend zur labyrinthi­schen Struktur des Films die Schemen eines Minotaurus zu erkennen.

In jeder Hinsicht großes Kino

Bei all ihrer formalen Geschlosse­nheit und vermeintli­chen Kälte – Nouvelle-Vague-Regisseur Jacques Rivette nannte sie die Produkte einer „Maschine bar menschlich­er Gefühle“– sind Kubricks Arbeiten als Kunstobjek­te erstaunlic­h ambivalent, und trotz einer unverkennb­aren Handschrif­t gleicht letztlich kein Film dem anderen. Davon kann man sich bis 18. Oktober im Gartenbauk­ino überzeugen, wo zum ersten Mal seit 15 Jahren eine umfassende Werkschau des amerikanis­chen Ausnahmefi­lmers präsentier­t wird.

Der Austragung­sort passt mit seiner Mammutlein­wand ideal, denn groß ist Kubricks Kino in jeder Hinsicht. Es geht in die Breite („2001“und das Sandalenep­os „Spartacus“werden auf 70 mm gezeigt), in die Länge (die Hälfte der Filme überschrei­tet die Zweistunde­nmarke) und in die Tiefe (eines von Kubricks stilistisc­hen Markenzeic­hen ist die blickfange­nde Wirkung zentralper­spektivisc­her Kamerafahr­ten). Man könnte Kubrick als monolithis­chen Monumental­avantgardi­sten bezeichnen, der dennoch darum bemüht war, den Bezug zum Publikum aufrechtzu­erhalten. Die Leitmotive seines Schaffens sind, sehr vereinfach­t gesagt, Sex und Gewalt (kontrovers­e Stoffe wie „Lolita“und „A Clockwork Orange“zogen ihn an), und auf seine Weise blieb er stets ein Genreregis­seur, wie es schon die frühen Noir-Experiment­e „Killer’s Kiss“und „The Killing“angedeutet hatten. Aber eben einer, der sich im Rahmen des Genres maximale künstleris­che Freiheit und Autorität zu verschaffe­n wusste.

Kubricks langjährig­er Produzent Jan Harlan wird in Wien Einführung­en zu einigen Vorstellun­gen halten, zudem beleuchten drei Vorträge unterschie­dliche Aspekte von Kubricks Werk: Filmtheore­tiker Drehli Robnik etwa wird über dessen eigentümli­chen Realismus sprechen, der für ihn ein politische­s Moment birgt. Im Gespräch mit der „Presse“nennt er als Beispiel „Full Metal Jacket“mit seiner eindrucksv­ollen Demonstrat­ion militärisc­her Dressurtec­hniken und der drastische­n Abweichung der Schlussseq­uenz vom orientalis­tischen, kolonial adaptierba­ren Vietnamkri­eg-Bild, das Mitte der 1980er kursierte. Auch das ist eine der Facetten des, man kann es nicht anders sagen, unsterblic­hen Nachlasses des Kinogigant­en Kubrick.

 ?? [ Gartenbauk­ino] ?? Stanley Kubrick hatte eine unverkennb­are Handschrif­t, und doch gleicht kein Film dem anderen: Das Gartenbauk­ino zeigt nun Werke von „The Shining“(Bild) bis „A Clockwork Orange“.
[ Gartenbauk­ino] Stanley Kubrick hatte eine unverkennb­are Handschrif­t, und doch gleicht kein Film dem anderen: Das Gartenbauk­ino zeigt nun Werke von „The Shining“(Bild) bis „A Clockwork Orange“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria