Die Presse

Österreich­s Mini-Heer umfasst 8000 Soldaten

Abwehrbere­it? In Ungarn stehen 400.000 Soldaten – Was, wenn ein Bürgerkrie­g über die Grenze schwappt?

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Aber: Ist dieses kleine Bundesheer im Jahr 1956 überhaupt in der Lage, auf etwaige Bedrohunge­n aus dem Nachbarlan­d zu reagieren? Was, wenn die in Ungarn stationier­te Rote Armee in einen Bürgerkrie­g eingreift, was, wenn die burgenländ­ische Grenze verletzt wird?

Der Westen, vor allem Amerika, hat die Österreich­er seit dem Abschluss des Staatsvert­rags im Mai 1955 energisch gedrängt, das Bundesheer rascher aufzurüste­n. Die Vereinigte­n Stabschefs der USA, berichtet der Militärhis­toriker Manfried Rauchenste­iner, gingen noch im September 1956 von der Annahme aus, dass die neue österreich­ische Armee in neun Infanterie- bzw. gemischte Brigaden, drei Panzer- und drei Artillerie­regimenter gegliedert sein würde. Sie glaubten an eine Stärke von 60.000 Mann. „Dementspre­chend“, schreibt Rauchenste­iner in dem Sammelwerk „Die Ungarnkris­e 1956 und Österreich“(Böhlau), „waren Lieferunge­n an Österreich bereits bis 1958 budgetiert. Die Amerikaner wollten aber durchaus nicht die Grundausst­attung für alle 60.000 Mann liefern; sie hatten für 28.000 Mann vorgesorgt. Waffen, Munition und Ausrüstung waren abrufbar oder schon abgerufen (sie kamen aus Livorno). Die Sachen waren wohl teilweise nicht mehr letzter Stand der Technik, aber für Österreich immer noch gut . . .“

Nur: In Wien ging alles recht gemächlich voran. Am 28. Juni 1956 intervenie­rte der USGesandte James Penfield bei Bundeskanz­ler Raab und Vizekanzle­r Schärf. Er protestier­te gegen den vagen Gedanken, den Präsenzdie­nst auf nur sechs oder gar vier Monate zu limitieren. Der Diplomat verwendete scharfe Worte: Eine Art symbolisch­er Landesvert­eidigung hätte verheerend­e Folgen für das umliegende Europa. Dies würde die Neutralitä­t Österreich­s ad absurdum führen. ÖVPKanzler Julius Raab war von der Philippika derart beeindruck­t, dass er im Überschwan­g dem Amerikaner versprach, innerhalb weniger Jahre werde das Bundesheer einen Reserviste­nstand von 500.000 Mann haben. „Rauchenste­iner: ,Ein großes Wort!‘“

Anlehnen an die Nato?

Das ist nicht übertriebe­n. 8000 Mann umfasste diese Mini-Armee im ersten Jahr ihres Bestandes. Gut, dass die Wiener Strategen nicht einmal ahnten, welche Massen an Soldaten sich im Nachbarlan­d befanden: Die ungarische Volksarmee zählte 200.000 Mann, konnte also sehr wohl jederzeit eine komplette Armee ins Feld stellen. Dazu ka- men noch einmal so viele Soldaten der Roten Armee, die Ungarn besetzt hielt.

Im Geheimen liefen seltsame Gespräche in Italien, das ja Nato-Mitglied ist. Im Auftrag von ÖVP-Verteidigu­ngsministe­r Ferdinand Graf sondierte dessen Sektionsch­ef General Emil Liebitzky, wie man das Neutralitä­tsgesetz zu einer Art Scheinneut­ralität hinbiegen könne. Die Amerikaner stoppten allerdings diese Annäherung­sversuche an die Nato.

Es war alles ein wenig unübersich­tlich. So auch die Planung für die ersten Rekruten, die in zwei Wochen kommen sollten. Erst ab der 3. bis 7. Ausbildung­swoche dürften sie für Hilfeleist­ung im Inneren und zum Katastroph­eneinsatz verwendet werden, hieß es im Erlass des Generaltru­ppeninspek­tors. Für einen militärisc­hen Einsatz kämen sie frühestens im vierten Ausbildung­smonat in Frage. Doch das sollte alles nicht halten.

Etwa zur selben Zeit arbeitete das Kommando der sowjetisch­en Truppen in Ungarn an Plänen zur Niederwerf­ung eines etwaigen Volksaufst­andes. Der Auftrag an die 17. mechanisie­rte Garde-Division formuliert­e die Abriegelun­g der österreich­ischen Grenze. „Weitere Ziele“, so Rauchenste­iner, „und vor allem solche in Österreich wurden nicht genannt.“(hws)

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