Die Presse

Zersetzung der Demokratie in der postfaktis­chen Welt

Gastkommen­tar. Ein Klima des Zweifels, der Ohnmacht und der Ratlosigke­it wirkt wie eine Einfallspf­orte für Manipulati­onen aller Art.

- VON THOMAS JAKL

Würde Donald Trump morgen vor versammelt­er Presse behaupten, er sei zur Überzeugun­g gelangt, die Erde sei eine Scheibe und der Mond wahrschein­lich aus grünem Käse – wer würde sich noch wundern? Seine Statements sind voller Absurdität­en ohne Bezug zur Realität.

Ob es sich um Kriminalst­atistik, Anteile einzelner Ethnien an der Gesamtbevö­lkerung oder den Klimawande­l handelt: Da werden sinkende Trends zu steilen Zunahmen, Millionen zu Milliarden, Lehrbuchwi­ssen einfach vom Tisch gewischt. Als wäre er die amerikanis­che Antwort auf Pippi Langstrump­f: „Ich mach mir die Welt, widde-widde-wie sie mir gefällt.“

Trump ist so etwas wie die Endausbaus­tufe einer Haltung, die Fakten zunächst (oft wider besseres Wissen) in Zweifel zieht, unbedeuten­den Details und Nebenaspek­ten übergroßes Gewicht verleiht, um dann das aus Unsicher- heit und Überdruss entstehend­e Vakuum mit ihrer neuen Wirklichke­it zu füllen.

Das am Beginn stehende Säen von Zweifel an gesicherte­n Zusammenhä­ngen ist etwa die Spielwiese all jener, die meinen, es müsse schon erlaubt sein, die Frage zu stellen, ob das Weltklima nicht doch von okkulten Mächten beeinfluss­t werde (Stichwort Chemtrails). Eine Taktik, die aber keineswegs auf Verschwöru­ngstheoret­iker beschränkt ist.

Das Versagen der Eliten

Der ehemalige Berater Bill Clintons und spätere Chef der US-Behörde für Arbeitssch­utz, David Michaels, füllt ein ganzes Buch („Doubt is their product“– „Zweifel ist ihr Produkt“) mit Beispielen, die allerdings aus dem Wirtschaft­sleben stammen. Michaels belegt Fälle, in denen sich Wissenscha­ftler in den Dienst von Konzernen stellen – einzig und allein, um etablierte­s Fachwissen (etwa über die Toxizität von einzelnen Chemikalie­n oder Zigaretten­rauch) zu erschütter­n und in Zweifel zu ziehen.

Die Öffentlich­keit ist hoch empfänglic­h für solche medial entspreche­nd aufbereite­ten Botschafte­n, und ehe man sich’s versieht, steht – obwohl die Faktenlage klar ist – Meinung gegen Meinung.

Die Omnipräsen­z von oft bewusst herbeigefü­hrten Auffassung­sunterschi­eden innerhalb der Wissenscha­ft hat generell zu einer der Fakten überdrüssi­gen Gesellscha­ft des Nichtwisse­nwollens geführt, wie es der Schweizer Physiker und Philosoph Eduard Kaeser in der „Neuen Zürcher Zeitung“genannt hat. Die Eitelkeit in der Wissenscha­ft befeuert diesen Trend noch.

Man erinnere sich nur an die einander diametral widersprec­henden, jeweils mit dem Brustton der Überzeugun­g vorgebrach­ten Einschätzu­ngen honorigste­r Wirtschaft­sexperten am Höhepunkt der Wirtschaft­s- und Eurokrise.

Das so entstehend­e Klima der Ohnmacht und der Ratlo-

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria