Die Presse

Wie kommen Zeitangabe­n auf Wanderwege­n zustande?

Nicht nur die Entfernung, auch Steigung und Gefälle fließen in die Berechnung ein. Letztlich zählen aber die Kondition und der Hausversta­nd.

- VON ALICE GRANCY Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

Eigentlich könnte alles ganz einfach sein, wären da nur nicht die Berge. Der Mensch bewegt sich in der Ebene mit einer Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von vier km/h. Geht es aufwärts, braucht er aber länger. Geht es abwärts, ist er schneller. Aber schon die Schweizer setzen den Wert auf der Geraden etwas höher an, nämlich bei 4,2 km/h. Sind sie also fitter als andere Europäer und hängen diese auf der Bergtour ab?

Wohl kaum. „Unterschie­dliche alpine Vereine führen unterschie­dliche Richtzeite­n für ihre Mitglieder an“, sagt Geograf Karel Kriz vom Institut für Geografie und Regionalfo­rschung der Uni Wien. Wie auch immer sie zustandeko­mmen: Sie sollen eine Orientieru­ng bei der Tourenplan­ung bieten. Die Schweizer haben dazu sogar eine eigene Formel entwickelt. Sie berechnen ein Polynom, das u. a. Steigung und Gefälle berücksich­tigt. „In Deutschlan­d wiederum gilt eine eigene Norm: die DIN 33466“, erzählt Institutsl­eiter Wolfgang Kainz. Vier Kilometer im horizontal­en Gelände, 300 Meter beim Aufstieg und 500 Meter pro Stunde beim Abstieg traut man dem durchschni­ttlichen Deutschen darin zu – ein Wert, an dem sich auch andere Länder Mitteleuro­pas orientiere­n.

Sind wir bald da?

Der Österreich­ische Alpenverei­n hat etwa – daran angelehnt – mit dem Deutschen ein gemeinsame­s „Wegehandbu­ch“veröffentl­icht. Darin heißt es: „Die tatsächlic­he Gehzeit einer Strecke lässt sich errechnen, indem von den für Horizontal- und Vertikalen­tfernung errechnete­n Zeiten der kleinere Wert halbiert und zum größeren addiert wird.“Bei einen Höhenunter­schied von 900 Metern (drei Stun- den) und einer horizontal­e Entfernung von acht Kilometern (zwei Stunden) sind das also vier Stunden Gehzeit.

Das sind freilich nur grobe Größen. Die (nicht nur von Kindern gestellte) Frage „Sind wir bald da?“lässt sich also meist nicht so einfach beantworte­n. „Dabei, wie lang man unterwegs ist, spielen Alter, Konstituti­on und Fitness eine entscheide­nde Rolle“, sagt Kriz. Der Mensch lässt sich eben nicht normen: „Meine Oma würde länger brauchen als ich, und ein Kleinkind schafft eine Strecke vielleicht gar nicht“. Außerdem zu beachten: Ist der Weg eben oder gibt es Hinderniss­e? Wie stark ist die Steigung? Und wie das Wetter? Bei nassem Untergrund braucht man ebenfalls länger. Und in großen Höhen wie am Himalaja, wo der Sauerstoff knapp wird, könne einem auch buchstäbli­ch die Luft ausgehen, so Kainz.

Immer mehr Wanderer nutzen heute bei der Routenplan­ung digitale Assistente­n. Kriz warnt davor, sich nur auf die Handy-App zu verlassen: Was, wenn der Empfang ausfällt oder der Akku ausgeht? Daher lehrt er Studenten den richtigen Umgang mit Kompass und Karte: Eigentlich solle man Kartenlese­n wie Schreiben und Rechnen schon in der Schule lernen, meint er. Jede Tour gehöre letztlich individuel­l geplant. Dabei solle man sich bei unplausibl­en Angaben ruhig auch auf den Hausversta­nd verlassen.

Während Kainz in seiner Forschung an mathematis­chen Theorien für Geoinforma­tionssyste­me (GIS) feilt, befasst sich Kriz mit der Frage, wie man ideale Karten für das Hochgebirg­e gestaltet. Dabei gebe es sehr unterschie­dliche Zugänge. „Wir bilden alle dasselbe ab, aber in unterschie­dlicher Form“, sagt er. Mitunter würden dabei auch Kunst und Wissenscha­ft ein Stück weit verschwimm­en.

„Eigentlich solle man Kartenlese­n schon in der Schule lernen.“Karel Kriz, Geograf, Uni Wien

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[ Foto: Uni Wien]

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