Die Presse

Vorsorgeun­tersuchung für Tunnel

Ob ein Tunnel intakt ist, wurde lange händisch kontrollie­rt. Dann scannten Laser das Innere, sie waren aber langsam. Seit Kurzem ist eine schnellere Technologi­e auf Schiene.

- VON ALICE GRANCY

Viel ist nicht zu sehen bei der Fahrt durch einen Eisenbahnt­unnel, denn es ist ja finster. So verbirgt sich dem Auge, dass manch älterer aus Stein- oder Ziegelmaue­rwerk gebaut oder direkt aus dem Fels gehauen ist. Oder dass ein neuerer eine Betoninnen­schale hat. Beim raschen Durchfahre­n erkennt man auch nicht, in welchem Zustand sich der Tunnel befindet. Löst sich Mauerwerk? Droht ein Stein herabzufal­len? Bilden sich Risse?

Den Zustand der Bauwerke im Berg laufend zu kontrollie­ren ist bei den Bundesbahn­en Aufgabe eigener Teams aus Ingenieure­n und Arbeitern. „Das ist wie bei einem Auto, das zum Pickerlmac­hen kommt. Wir müssen die Tunnelbauw­erke laufend überprüfen“, sagt Robert Matt, der die Instandhal­tungen von Tunneln bei der ÖBB Infrastruk­tur koordinier­t. Dabei gehe es weniger darum, einen Einsturz zu fürchten – ein Tunnelbauw­erk ist in Österreich auf mehr als hundert Jahre ausgelegt. Ziel seien vielmehr zeitgerech­te Instandset­zungsarbei­ten.

Berge bewegen sich

Denn die Berge bewegen sich: Sie stehen ständig unter Spannung, in ihnen fließt Wasser, es bildet sich Eis. Bisher passierten die Kontrollen händisch. Die Fachkräfte stehen dabei auf einem eigenen Tunnelunte­rsuchungsf­ahrzeug mit einer Hebebühne und klopften das Innere eines Tunnels mit einem Hammer ab: So stellen sie fest, ob

befinden sich derzeit im Bestand der ÖBB. Sie sind insgesamt 250 Kilometer lang. Durch Neubauten wie den Koralm-, den Semmering- und den Brennerbas­istunnel verdoppelt sich die Zahl bis 2026.

misst der längste Tunnel im ÖBB-Netz: der Münsterer Tunnel in Tirol. Der älteste Tunnel Österreich­s ist der 1841 errichtete niederöste­rreichisch­e Gumpoldski­rchner Tunnel. Er ist im Volksmund als „Busserltun­nel“bekannt. sich etwas lockert. Und das Geräusch verrät dem geschulten Ohr auch, ob unter einer Stelle ein Hohlraum liegt. Das dauert, trotz aller Routine. Und einstweile­n ist der Tunnel gesperrt. Der Verkehr steht oder muss umgeleitet werden.

Seit einigen Jahren gibt es digitale Assistente­n für die Arbeiter. Das Prinzip funktionie­rt ähnlich wie bei Qualitätsk­ontrollen in Medizin oder Werkstoffi­ndustrie. Neu ist, die Technologi­e zur Überprüfun­g von Tunnels zu nutzen. Dabei fahren Laserscann­er auf einem Messwagen durch den Tunnel und tasten die Wände ab. „Der Strahl trifft auf die Wand, die das Licht reflektier­t. Über die Laufzeit der Wellen errechnet sich dann die Beschaffen­heit der Oberfläche“, erklärt der promoviert­e Bauinge- nieur Thomas Petraschek. Er ist bei der ÖBB für Innovation­en beim Streckenma­nagement zuständig.

Mit freiem Auge nicht zu sehen

Das ist vor allem für neuere Tunnel mit Betonauskl­eidung interessan­t. Denn auf den in Grauschatt­ierung dargestell­ten, dreidimens­ionalen Aufnahmen lassen sich selbst Risse bis 0,1 Millimeter finden, die man mit freiem Auge gar nicht erkennt. „Überall, wo mit Beton gebaut wird, entstehen Risse, auch in einer Hausmauer“, sagt Matt.

Entdecken die Tunneltech­niker einen Riss in der Tunnelverk­leidung, beobachten sie ihn: Manche Risse blieben über 50 Jahre gleich, manche veränderte­n sich schnell. Dann müsse man handeln, sagt Matt, der an der Boku Wien Kultur- technik und Wasserwirt­schaft studiert hat.

Damit die Qualität der Aufnahmen passt, bewegte sich das Messfahrze­ug bisher mit lediglich 1,8 Stundenkil­ometern fort. „Ziel unserer Entwicklun­gsarbeit war, die Geschwindi­gkeit zu verdoppeln“, sagt Petraschek. Das Tempo eines Spaziergän­gers zu erreichen, war aber technisch eine Herausford­erung: Der mehrere Kilogramm schwere Scannerkop­f rotiert dabei nämlich mit hoher Drehzahl um eine Achse: „Er dreht sich alle drei Millimeter einmal rundherum, das liefert 10.000 Bildpunkte“, schildert Petraschek. Ist die Bewegung nicht ganz rund, stört das die Feinmechan­ik und damit die Messungen.

Wuchten wie einen Reifen

Der Clou: Das Messsystem muss – ähnlich wie ein Autoreifen – gewuchtet werden. Das gelang in einem Wechselspi­el mit der deutschen Firma Spacetec Datengewin­nung. Außerdem fährt heute neben dem Scanner noch ein zweiter Passagier mit: Eine Kamera macht thermograf­ische Aufnahmen, die Informatio­nen über das Innenleben des Berges hinter der Betonauskl­eidung liefert. Fließt dort Wasser, kann es im Winter, wenn es friert, Teile der Betonschal­e sprengen. Die Daten werden mit denen des Lasers in einem Modell verschmolz­en.

Zwei Jahre lang wurde getüftelt und getestet, seit Jahresbegi­nn ist der neue Tunnelinsp­ektor nun in ganz Österreich unterwegs. Die Zeiten von „Hör mal, wer da hämmert“sind im Tunnel dennoch nicht vorbei. Geklopft wird weiter, allerdings mit den vom Laser gemessenen Angaben nun weit gezielter.

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[ ÖBB Infrastruk­tur ] Das digitale Auge fährt mit: Laserscann­er auf einem Messfahrze­ug. Robert Matt, ÖBB Infrastruk­tur

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