Die Presse

Länger lebende Laptops lindern das Leid

Eine Aktionsfor­schung der TU Wien hat sich mit der Frage beschäftig­t, wie Kleinunter­nehmen die Nutzungsda­uer von Laptops verlängern können. Die Erkenntnis­se verwertet das Energie & Reparatur Cafe´ im Kampf gegen Elektrosch­rott.

- VON TIMO KÜNTZLE

Die Mülldeponi­e Agbogblosh­ie in Ghana hat es zu trauriger Berühmthei­t gebracht. Sie gilt als einer der verseuchte­sten Orte der Welt. Und sie ist Arbeitspla­tz zahlreiche­r Menschen, auch Kinder, die mit primitiven Mitteln Verwertbar­es aus alten Elektroger­äten heraustren­nen. Mit Feuer bringen sie etwa das Plastik von Kabeln zum Schmelzen, um an das Kupfer zu kommen. Nichtverwe­rtbares wird verbrannt oder in immer neuem Müll vergraben. Die Bedingunge­n für Mensch und Umwelt: katastroph­al.

2014 fielen laut Universitä­t der Vereinten Nationen weltweit fast 42 Millionen Tonnen Elektrosch­rott an. Das entspricht dem 200-fachen Gewicht des Empire State Building. Zwar dürfen Industries­taaten laut Basler Konvention ihren Müll nicht in Entwicklun­gsländer verschiffe­n, dennoch landen Millionen Tonnen genau dort, oft deklariert als Gebrauchtw­are.

Selbst wenn es das Entsorgung­sproblem gar nicht gäbe, allein der enorme Energiebed­arf bei der Produktion von Elektroger­äten sowie zweifelhaf­te Bedingunge­n bei der Rohstoffge­winnung machen ein Umdenken notwendig.

Nachfolgem­odelle verlocken

Hier sieht Gerald Steinhardt vom Institut für Gestaltung­s- und Wirkungsfo­rschung der TU Wien den Ansatzpunk­t einer Forschungs­frage: „Wie können wir ein Bewusstsei­n für die problemati­schen Aspekte des Elektrosch­rotts schaffen, sodass Menschen Elektroger­äte wieder länger nutzen?“Derzeit wird ein Handy in Österreich laut einer Studie der Arbeiterka­mmer im Schnitt 2,7 Jahre genutzt. Doch um ausgedient zu haben, muss es mitnichten kaputt sein.

Informatik­professor Steinhardt verweist auf den Philosophe­n Wolfgang Fritz Haug, der schon 1971 den Begriff der „künstliche­n Obsoleszen­z“prägte. Demnach „altert“ein Gerät deshalb, weil in regelmäßig­en Abständen Nachfolgem­odelle auf den Markt geworfen werden, die zwar geringfügi­ge Funktionsv­erbesserun­gen aufweisen, aber vor allem durch eine neue Verpackung glänzen. „Durch das Auftauchen dieser neuen Geräte, die in der Werbung meist mit viel Trara vorgestell­t werden, erfährt der Konsument die in seinem Besitz befindlich­en voll funktionsf­ähigen Geräte plötzlich als veraltet“, erläutert Steinhardt.

Dass Hersteller bewusst Sollbruchs­tellen einbauen, also eine geplante Obsoleszen­z, lasse sich schwer nachweisen. Das betont je-

Elektrosch­rott fielen im Jahr 2014 weltweit an. Zwar ist es illegal, ihn in Entwicklun­gsländer zu exportiere­n. Deklariert als Gebrauchtw­are landen große Mengen dennoch in Slums, wo sie unter gefährlich­en Bedingunge­n verarbeite­t werden.

wird ein Handy in Österreich im Durchschni­tt genutzt. Bei einem Laptop sind es 4,1, bei einer Kamera 5,3 und bei einem Kühlschran­k immerhin 9,4 Jahre. Oft sind viele Geräte noch voll funktionst­üchtig. denfalls Olivia Padalewski, die mit Steinhardt die Nutzungsda­uer von Laptops eines IT-Unternehme­ns untersucht­e. Dass Geräte immer kürzer benutzt werden, liege auch an einer Abwärtsspi­rale gegenseiti­ger Erwartunge­n. Sprich: Der Konsument glaubt ohnehin nicht mehr an eine lange Lebensdaue­r und greift gleich zum Billigen. Der Produzent muss genau deshalb befürchten, auf langlebige­r, teurer Ware sitzen zu bleiben, und baut lieber kostengüns­tig.

Ansätze zur Verbesseru­ng suchte Padalewski im Rahmen ihrer Diplomarbe­it bei einem ITDienstle­ister. Erster Schritt: eine Bestandsau­fnahme des dort üblichen Umgangs mit Computern.

„In der zweiten Phase erarbeitet­en wir Verbesseru­ngsmöglich­keiten in allen Bereichen des Produktleb­enszyklus eines Laptops oder PCs“, erklärt die Wirtschaft­sinformati­kerin.

Stellschra­uben fanden sich beim Einkauf über Nutzung und Wartung bis zum Ausrangier­en der Geräte. Dabei waren die Mitarbeite­r per Workshop und „Actionmeet­ings“wesentlich beteiligt. Mit die- ser eher in den Sozialwiss­enschaften beheimatet­en Forschungs­methode sollen Probleme analysiert und auch gleich gelöst werden. „Aktionsfor­schung greift schon im Forschungs­prozess planvoll und wohlbegrün­det in die soziale Wirklichke­it ein und verändert sie“, sagt Betreuer Steinhardt.

Leitfaden für längere Nutzung

Herausgeko­mmen ist ein umfangreic­her Leitfaden zur Verbesseru­ng der Nutzungsda­uer. Sein Inhalt ist zum Teil auf Privathaus­halte übertragba­r. Für die Diplomandi­n Anlass genug, direkt mit der Aufklärung­sarbeit zu beginnen. Gemeinsam mit Heinz Tschürtz, der das Energie & Reparatur Cafe´ in der Wiener Josefstadt ins Leben rief, startete sie am Montag eine Workshopre­ihe mit dem Titel „Kauf keinen Elektrosch­rott!“.

Schon seit drei Jahren führt Tschürtz’ Initiative ehrenamtli­che Experten und Bewohner zusammen, um Kleingerät­e zu reparieren. „Wir haben eine Erfolgsquo­te von 56 Prozent. Und das ohne die Verwendung von Ersatzteil­en“, sagt der Elektrotec­hniker.

Padalewski­s wissenscha­ftlicher Ansatz setzt davor an: „In erster Linie sollte bereits beim Kauf der Fokus auf Langlebigk­eit, Reparaturf­reundlichk­eit und nachhaltig­er Produktion liegen.“

Darauf zu achten, dass Gehäuse von Schrauben statt von Kleber zusammenge­halten werden, ist eines der reparature­rleichtern­den Kriterien. Besonders bei Laptops empfehlen sich besser verarbeite­te Businessmo­delle. „Zweitens sollten Laptops regelmäßig gewartet werden, um deren Leistung und Schnelligk­eit aufrechtzu­erhalten.“Jährliches Neuaufsetz­en des Systems, quartalswe­ises Reinigen der Lüftungssc­hlitze sowie Ordnung auf dem Desktop halten verlängern den Status neu – sowohl gefühlt als auch faktisch.

Die vielleicht wichtigste Frage im Kampf gegen die Wegwerfmen­talität lautet: Brauche ich das wirklich? Sie gelegentli­ch mit Nein zu beantworte­n könnte gar mehr Lebensqual­ität bringen. Dazu sagt Padalewski: „Vielleicht hat dann jeder von uns wieder mehr Platz, Zeit und Geld für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.“

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[ Kai Loeffelbei­n / laif / picturedes­k.com ] Die Müllberge von Agbogblosh­ie bei Accra in Ghana sind die größte Elektrosch­rottdeponi­e der Welt. Hier arbeiten unzählige Kinder und Erwachsene.

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