Zwei Autorinnen, zwei Milieus
QWas der einen kraft ihrer Herkunft zugefallen ist, hat sich die andere mühsam erkämpft. Aber Tonka ist so bescheiden, dass sie sich in der Schilderung ihrer Jugendjahre zurücknimmt, um den Blick auf diejenigen zu öffnen, denen es, wie den Juden, noch schlimmer ergangen ist oder die ihr weitergeholfen haben. Die Eltern, ihr erster, in Slowenien gefallene Freund, ein Onkel, der am Stadtrand eine Kolchose gründet, immer wieder die beiden Tanten Hilda und Wicki – „die selbstlosesten, gütigsten und hilfsbereitesten Menschen der Familie“. Bei ihnen in der Favoritner Parterrewohnung, Zimmer–Küche, halten Kommunisten ihre konspirativen Treffen ab, selbst während der Nazizeit. „In meiner Kindheit, als es noch üblich war, auf der Straße, im Hof oder im Park in Gruppen zu spielen, wurde beim ,Fangerlspiel‘ ein bestimmter Ort vereinbart, ein Baum oder eine Parkbank, wo man nicht gefangen werden konnte. Dieser Ort wurde ,Leo‘ genannt. Wenn man den ,Leo‘ erreichte, war man in Sicherheit. Ein solcher Ort war die Buchengasse mit den Tanten. Dorthin ging man, wenn man Kummer hatte, wenn man eine Bestrafung durch Eltern oder Lehrer befürchtete, wenn man nicht mehr aus und ein wusste. Dort war auch mein ,Leo‘.“
Seltsam, wie sehr die soziale Kluft zwischen beiden Autorinnen sich noch in der Ausstattung der Bücher manifestiert. „Der verlorene Ton“ist sorgfältig lektoriert und leserfreundlich gedruckt, er wird gut beworben; „Buchengasse 100“, in einem linken Verlag erschienen, ist spartanisch aufgemacht, lieblos gestaltet, ungeschickt umbrochen. Man wünscht sich, es wäre umgekehrt. Wenigstens ausgeglichen. Aber Walsh’ Befund ist weiterhin gültig.
Lida Winiewicz’ Roman „Der verlorene Ton“ist ab 4. Oktober lieferbar. Lesungen der Autorin: 7. November, 19 Uhr, Thalia, Landstraßer Hauptstraße 2a, Wien III; 10. November, 15.15 Uhr, 3sat-Lounge der „Buch Wien“; 10. November, 17 Uhr, Literaturcafe´ der „Buch Wien“.