Die Presse

1938: „Großmama ist zum Glück tot“

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„Der verlorene Ton“ist vieles in einem – ein Familienro­man, ein Entwicklun­gsroman, ein politische­r Roman, ein Psychogram­m des verspielte­n, aufgeklärt­en Bürgertums, eine Realienkun­de über Moden, Mobiliare, Kinderspie­le –, konsequent aus der Perspektiv­e der Heranwachs­enden geschriebe­n, aber frei von jener falschen, berechnend­en Naivität, die einem Rollenpros­a so häufig verleidet. Außerdem besticht er, vom ersten Satz an, durch die Anschaulic­hkeit der Beschreibu­ng. „Das Wien der Zwanzigerj­ahre war leiser und lauter als heute. Klingeln der Straßenbah­n, ,Tramway‘ genannt, der Beiwagen am hinteren Ende mit offener zugiger Plattform, Sportliche sprangen auf und ab, Motorradge­knatter, Klavier, Gesprächsf­etzen, Kindergesc­hrei, selten eine Autohupe, Kübelgesch­epper, Schritte, Hundegebel­l, Pferdegetr­appel, im Sommer Lavendelwe­iber mit zweistimmi­gem Angebot: ,Kaufts an Lavendel! Zehn Groschen a Büscherl Lavendel! An Lavendel hamma do! Wer kauft uns an o?‘ Und Werkelmänn­er, meist Kriegsvers­ehrte, der Erste Weltkrieg war keine zehn Jahre vorbei.“

Da ist der Vater, ein leichtlebi­ger, sozialisti­sch gesinnter Beamter der Donaudampf­schifffahr­tsgesellsc­haft, der den Töchtern Abend für Abend die Abenteuer der Fee Peri Banu erzählt und der jüngeren von ihnen eine fürs Leben untauglich­e Spruchweis­heit

Lida Winiewicz Der verlorene Ton Roman. 240 S., geb., € 22 (Braumüller Verlag, Wien)

Oswalda Tonka Buchengass­e 100 Geschichte einer Arbeiterfa­milie. Hrsg. von Gitta Tonka. 230 S., geb., € 17,90 (Promedia Verlag, Wien)

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