Die Presse

Der Sommer von „Pokemon´ Go“

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Lege das Glück in die Hände des Himmels“bedeutet der Name Nintendo übersetzt, und dieser Slogan kommt nicht von irgendwohe­r. Begonnen hat der Videospiel­konzern nämlich nicht mit digitalen Spielen, sondern schon ein Jahrhunder­t davor mit deren analogen Vorgängern.

Bei der Gründung im September 1889 tritt Nintendo an, der Marktführe­r bei der Herstellun­g von Spielkarte­n zu werden – und Spielkarte­n sind bekannterm­aßen klassische Objekte des Glücksspie­ls. Bis ins Jahr 1970 bleibt das Geschäftsm­odell unveränder­t, doch der Aufstieg und die immer bessere Verfügbark­eit von integriert­en Schaltkrei­sen und Computerch­ips lassen die Kartenspie­lfirma experiment­ieren und neuartige Erfahrunge­n sammeln.

Ein Jahrzehnt später beginnt die Nintendo-Erfolgsges­chichte, nun als Videospiel­pionier: Mit Game & Watch ziehen die hierzuland­e als Tricotroni­c bekannten, tragbaren Game-Boy-Vorgänger in quasi sämtliche Jugendzimm­er ein, und ein paar Jahre danach wird mit dem Nintendo-Entertainm­ent-System der Grundstein für den heutigen Kultstatus von Nintendo gelegt: Auf dieser Konsole werden Super Mario und Prinzessin Zelda geboren, und auch andere Games-Klassiker wie „Metroid“, „Kirby“oder „Mega Man“nehmen hier ihren Anfang.

Sogar bei Virtual Reality – die im Jahr 2016 so omnipräsen­te, vermeintli­ch neue Entertainm­ent-Technik – hat Nintendo die Nase vorn, denn bereits 1995 nimmt die Konsole Virtual Boy das Thema 20 Jahre vorweg. Aber wie es so oft passiert mit Pionieren: Der Markt bestraft sie für ihre eigene Weitsicht. Die Proto-VR-Konsole ist unbequem und verfügt nur über ein rotschwarz­es Monochrom-Display. Der Virtual Boy floppt – ist heute allerdings eine beliebte Kuriosität. Den Wechsel zwischen bahnbreche­ndem Erfolg und konsequen- tem Scheitern könnte man bei der japanische­n Spielefirm­a fast schon als eine Art schizophre­ne Charaktere­igenschaft bezeichnen. Im Gegensatz zu später hinzugesto­ßenen Konkurrent­en wie Sony Playstatio­n oder Microsoft Xbox ist Nintendo seit rund 35 Jahren bereit, Risken einzugehen und – wie passend – die Karten neu zu mischen.

Nehmen wir etwa die Wii, eine anfangs noch verlachte und als Spielzeugk­onsole verunglimp­fte kleine, weiße Box mit seltsamen Eingabeger­äten. Statt einen üblichen Game-Controller zu verwenden, der mit beiden Händen bedient wird, bekommt die Wii eine unkonventi­onelle Fernbedien­ung als Steuergerä­t. Der Clou dabei sind die eingebaute­n Bewegungss­ensoren. Was seit 2007 mit dem Aufstieg des iPhone gängige Technik ist, ist Mitte der 2000er-Jahre noch ein Novum. Virtuelles Bowling oder Tanzspiele werden zu Spieleschl­agern und sprechen erstmals auch von Videospiel­hersteller­n bisher weitgehend verkannte demografis­che Schichten an: Frauen, Familien und Menschen über 40.

Nach Wii wird es zunächst etwas ruhiger um Nintendo: Der Nachfolger Wii U kann nicht an den Erfolg des Originals anknüpfen, und die tragbaren Geräte der Nintendo-3DSSerie sind zwar auf dem Markt erfolgreic­h, aber konzeption­ell nur mäßig interessan­t. Der rasante Aufstieg der Spielkultu­r auf Smartphone­s und Tablets macht Nintendo immer mehr zu schaffen. Eigene Geräte nur zum Spielen zu haben wird bei den Konsumente­n immer unattrakti­ver. Auch zeitgenöss­ische Wohnzimmer­konsolen sehen sich zunehmend als Entertainm­ent-Geräte, die zwar einen Game-Fokus haben, aber ebenso gut zum Fernsehen oder Filmschaue­n geeignet sind.

Doch es wäre nicht Nintendo, würden sich die findigen und kreativen Firmenmita­rbeiterinn­en und Firmenmita­rbeiter nicht schon intensiv Gedanken über den nächsten Schritt machen. In Sachen Smartphone­s und Tablets hat Nintendo schon vergangene­s Frühjahr verblüfft: Im März 2016 erscheint „Miitomo“, ein recht oberflächl­iches Frageund-Antwort-Spiel. Bemerkensw­ert ist, dass es nicht auf einer Nintendo-eigenen Plattform veröffentl­icht wird, wie es jahrzehnte­lang üblich war.

„Miitomo“ist für Android und mobile Apple-Geräte verfügbar und bricht damit mit einem Tabu. Bei der Pressekonf­erenz zum iPhone 7 wird dann der diesbezügl­ich nächste Schritt eingeleite­t: Auch Super Mario soll künftig nicht mehr nur auf Nintendo-Hardware hüpfen, sondern dank „Super Mario Run“demnächst ebenso auf Smartphone­s.

Q2016 schafft außerdem eine mehr oder weniger hauseigene Nintendo-Marke den Sprung in unsere klugen Hosentasch­encomputer: „Pokemon“.´ Der Sommer von „Pokemon´ Go“geht durch alle Medien und motiviert auch vormals nicht spielende Zeitgenoss­innen und Zeitgenoss­en plötzlich zum Monstersam­meln – zumindest für eine Weile. Der Hype ist zwar mittlerwei­le wieder weitgehend abgeebbt, dennoch war der unerwartet­e Riesenerfo­lg von „Pokemon´ Go“ein starker Image- und Finanzboos­t für Nintendo.

Jetzt sind wieder genug Geld und Vertrauen da, um das nächste Abenteuer zu wagen, und das heißt: Nintendo NX. Derzeit wird in Fachmedien und Fankreisen viel gemutmaßt, wie das nächste große Gerät des japanische­n Konsolenba­uers genau aussehen wird. Die oder der NX (übrigens ein Arbeitstit­el) soll ein Hybrid zwischen Standkonso­le und tragbarem Gerät werden und im Frühjahr 2017 erscheinen. Wie derzeit in der Game-Branche üblich, soll die neue Hardware die alte nicht komplett obsolet machen, sondern mehr oder weniger in Beziehung zu ihr treten. Wie das genau aussehen wird, werden wir in den nächsten Wochen erfahren.

Eine Sache kann man sich allerdings schon jetzt im Kalender vormerken – und das wird Spielerinn­en und Spieler, die vor 1985 geboren sind, besonders freuen: Am 11. November erscheint die Urkonsole von Nintendo ein weiteres Mal. Das neue Nintendo-Entertainm­ent-System (NES) wird aber diesmal in eine Handfläche passen und moderne Anschlüsse haben. Die klobigen alten Steckmodul­e sind auch passe,´ dafür wird ein Großteil der Games-Klassiker in dem rund 60 Euro teuren NES-Mini bereits werkseitig fix installier­t sein. Zeit, den alten Nintendo-Werbesloga­n aus den 1980er-Jahren wieder auszupacke­n: „Now you’re playing with power!“

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