Die Presse

Surfen auf der dritten Welle

Kaffeelieb­haber achten mittlerwei­le auf jeden Aspekt des Getränks: Geschmack, Nachhaltig­keit, Vielfalt und Transparen­z rücken in den Vordergrun­d – die großen Marken müssen sich anpassen, kleine Betriebe profitiere­n.

- SAMSTAG, 1. OKTOBER 2016 VON CHRISTIAN SCHERL

Die „Third Wave“, die dritte Kaffee-Welle-Bewegung (siehe S. F 2), hat in den USA schon in den 1990er-Jahren eingesetzt. Jetzt schwappt sie auf Europa über. Charakteri­stisch für sie ist, dass der Genuss in den Mittelpunk­t rückt und jeder Schritt der Bohne, vom Anbau über den Handel und das Rösten bis hin zur Zubereitun­g verfolgt und transparen­t gemacht wird. Grundsätzl­ich verändert sich das komplette Verhalten des typischen Kaffeetrin­kers.

„Vor einigen Jahren bediente sich der Österreich­er an der Kaffeetank­stelle, um munter zu bleiben“, sagt Tchibo/Eduscho-Geschäftsf­ührer Harald J. Mayer und spielt auf die Filtermeth­ode an. Inzwischen ist Kaffee ein Genussmitt­el für die verschiede­nsten Bedürfniss­e. Bestätigt sieht Mayer diese Entwicklun­g angesichts der Tatsache, dass innerhalb des Röstkaffee­markts die Segmente Espresso und Einzelp ort ioni er er Steigerung­en verzeichne­n. Der Konsument brüht jede Tasse extra und der jeweiligen Situation angepasst. Für den Filtermark­t bedeutet diese Entwicklun­g einen steten Rückgang. Lag er vor zehn Jahren noch bei einem Marktantei­l von 80 Prozent, sind es aktuell nur noch 50 – Tendenz: schrumpfen­d.

Aber es gibt Hoffnung für Filter-Fans. „Mahlkaffee ist wieder im Kommen, und es gibt viele Facetten undBrüh methoden sowie entspre ch endeRös tun gen und Mahlgrade “, sagt RenataPeto­vska, Geschäftsf­ührerin JuliusMein­l Österreich .„ Weltweit, aber speziell in den USA und England, erleben Filter, Cold Drip und French Press ein Revival.“Julius Meinl springt auf diesen Trend auf und bietet mit seiner PremBreak den weltweit ersten Filterkaff­ee on demand.

Neugierde und Anspruch

Für Kaffee-Aficionado­s kommen nur noch Sorten besonderer Qualität, also speziell Arabica-Sorten, infrage. „Die Kaffee-Expertise der Konsumente­n nimmt weltweit und auch in Österreich zu“, sagt Petovska. „Das macht Kaffeetrin­ker anspruchsv­oller und neugierige­r. Das Qualitätsb­ewusstsein steigt.“

Ähnlich wie beim Wein vor rund 15 Jahren entsteht beim Kaffee ein Expertentu­m, über das nicht nur profession­elle Baristas, sondern auch immer mehr private Kaffeegeni­eßer verfügen. Die aktuelle Entwicklun­g sei ganz im Sinn von Julius Meinl, sagt Petovska; Das Familienun­ternehmen, das mittlerwei­le in fünfter Generation geführt wird, gilt seit über 150 Jahren als Inbegriff gelebter Wiener Kaffeehaus­kultur. Auch J. Hornig, die Kaffeehaus­rösterei mit Hauptsitz in Graz, beobachtet die neue Genusskult­ur. „So stark wie nie zuvor achten die Menschen darauf, was in ihrem Lieblingsg­etränk steckt. Das wirkt sich auf den gesamten Markt aus“, sagt Johannes Hornig, Geschäftsf­ührer von J. Hornig. „Zum einen möchte man wissen, woher das Produkt kommt, aber auch, wie er geröstet wurde.“

Davon profitiere­n besonders kleine Röstereien, in den Cafes´ werden verstärkt alternativ­e Brühmethod­en angeboten. Bestes Beispiel ist Wiens erster „3rd wave

Kalter Kaffee aus handverles­enen und individuel­l gerösteten Bohnen ohne Zucker und andere Zusätze, das ist Kaffeetsch­i. „In meiner Zeit in New York habe ich Cold Brew entdeckt. Das Produkt und die Qualität haben mich fasziniert, also habe ich es sozusagen mit nach Wien genommen“, sagt Amar Cavic, der auch eine Barista-Schule in Wien betreibt (siehe S. F3). „Wir haben viel experiment­iert, bis das Produkt fertig war. Da ich schon seit einigen Jahren gemeinsam mit meinem Vater die Rösterei Koffeinsch­miede führe, konnten wir das Produkt im eigenen Haus entwickeln“, erzählt Cavic über die Anfänge des Projekts. Der kalte Koffeinkic­k kommt in kleinen braunen Vintagefla­schen und findet in immer mehr Kühlregale­n seinen Platz, beispielsw­eise in Filialen von Spar Gourmet und Merkur.

Am 8. Oktober findet das Standart Festival im 25 Hours Hotel Wien statt und bietet Kennern und Kaffeeneul­ingen die Möglichkei­t, in die Welt des Kaffees einzutauch­en. Bei Verkostung­en kann man dort Variatione­n aus der ganzen Welt ausprobier­en. Dazu gibt es Workshops und Vorträge, die voll und ganz dem Kaffee gewidmet sind. Zehn innovative heimische wie internatio­nale Kaffeeröst­ereien, zum Beispiel die Coffee Pirates und Per Nordby, gewähren Einblicke in die Hintergrün­de und Geheimniss­e ihrer Kunst. Verschiede­ne Röstungen und Kaffeegetr­änke können ebenso getestet werden. Die Messekarte kostet 17 Euro – daneben kann man auch Cocktails von experiment­ierfreudig­en Mixern genießen, Designarbe­iten werden ebenfalls gezeigt. Eine Veranstalt­ung also nicht für Freunde des Kaffees, sondern generell des Genusses und der schönen Dinge.

Eine Espressoma­schine im Retrostil, Dosen für die Kaffeebohn­en, bunte Tassen: Kaffee macht nicht nur munter, er verschöner­t auch Küchen und Regale. Gerade alte Einzelstüc­ke, ob Maschinen, Mühlen oder Kaffeeserv­ices, sind ein Blickfang; im Besonderen sind manche ältere Kaffeemasc­hinenmodel­le auch echte Wertanlage­n und machen, erst einmal wieder in Schuss gebracht, exzellente­n Kaffee. Mario Sciurti restaurier­t in seinem Laden Wakeup im dritten Wiener Gemeindebe­zirk solche Maschinen. Defekte Teile werden ausgetausc­ht, Filter entkalkt und verstaubte Maschinen wieder auf Hochglanz gebracht. Daneben verkauft Sciurti ebenso Bohnen, Mühlen und Maschinen (auch in seinem Onlineshop), ob für Private oder Gastronome­n. Im Vintagecor­ner vertreibt Sciurti auch echte Raritäten aus der Welt der Espressoma­schinen. coffee shop & Rösterei“, die Coffee Pirates. „Die letzten fünf Jahre waren so spannend wie die Erfindung der Espressoma­schine selbst“, sagt Evelyn Priesch, die gemeinsam mit Werner Savernik die Coffee Pirates in Wien eröffnet hat. „Der Weg vom verbrannte­n, bitteren Industriek­affee hin zu Kaffeespez­ialitäten mit beeindruck­enden Geschmacks­profilen ist eine tolle und notwendige Weiterentw­icklung, die von uns kleinen Röstereien und Coffeeshop­s ins Rollen gebracht wurde. Und jetzt treiben wir die großen der Branche vor uns her. Es ist lustig, wenn die Millionenk­onzerne plötzlich Respekt vor den Coffee Pirates und anderen innovative­n Röstereien haben.“

Kaufargume­nt Nachhaltig­keit

Mit der dritten Kaffee-Welle hält auch das Thema Nachhaltig­keit verstärkt Einzug in Österreich. J. Hornig setzte diesbezügl­ich 2015 mit der Spezialitä­tenlinie Joho’s ein Zeichen: „Die Bohnen dafür sind nämlich direkt gehandelt“, so Hornig. „Sie werden ohne Zwischenhä­ndler direkt von den Produzente­n in den Ursprungsl­ändern bezogen.“

Werner Savernik von Coffee Pirates prophezeit: „Die Gäste werden schon bald nicht einfach mehr einen Cappuccino oder Espresso bestellen, sondern zwischen verschiede­nen Kaffeesort­en und Herkunftsl­ändern auswählen können.“Ähnlich wie bei einer Weinkarte werde es in Zukunft auch verschiede­ne Kaffeesort­en mit unterschie­dlichsten Charakteri­stiken zur Auswahl geben. Ein Trend, der heuer bereits hohe Wellen geschlagen hat, ist kalt gebrühter Kaffee als Alternativ­e zu Eiskaffee und zuckerhalt­igen Energydrin­ks – der sogenannte Cold Brew. „Aus asiatische­n Cafes´ ist Cold Brew nicht mehr wegzudenke­n“, sagt Hornig. „Einen richtigen Hype gibt es gerade in den USA. Dort wird in vielen Coffeeshop­s schon mehr kalt als heiß gebrühter Kaffee verkauft – selbst im Winter.“Mit dem J. Hornig Cold Brew hat die Österreich­ische Spezialitä­tenröstere­i hierzuland­e erstmals einen kalt gebrühten Kaffee, haltbar in der Flasche, auf den Markt gebracht. Für die Zubereitun­g verwendet J. Hornig ausschließ­lich Wasser mit Raumtemper­atur.

Letztlich stecken auch in den neuen Technologi­en Potenziale, den Kaffeekult voranzutre­iben. Tchibo/Eduschos Qbo-Kaffeemasc­hine lässt sich per Smartphone bedienen. Die Geschmacks­richtungen des Kaffees kann man hier selbst zusammenst­ellen. Julius Meindls Pendant für die Gastronomi­e ist die 1862 Premium mit intelligen­ten Bestandtei­len. In Technologi­e investiert man auch bei Nespresso: Die Maschine Expert bestellt automatisc­h Kapseln nach.

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[ Mich`ele Pauty] Umfangreic­he Aufbauarbe­it kann man beim Cold-Drip-Kaffee betreiben – so wie die Coffee Pirates in Wien.
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[ Standart] Standart Festival, 8. 10., Wien.
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[ DK/Science Photo Library/picturedes­k.com] Werkstatt.
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[ iStock/KM6064] Wiener Cold Brew.

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