Die Presse

Zwischen Beeren und verbrannte­n Reifen

Nikolaus Hartmann ist Staatsmeis­ter im Filterkaff­eebrauen – und kennt die 800 bis 900 Aromen, die in Kaffee stecken können. In Wien betreibt er eine Pop-up-Kaffeebar in einer früheren Supermarkt­filiale.

- VON EVA REISINGER

Es war ein anstrengen­der Tag im Jahr 2009: Der Architekt Nikolaus Hartmann hatte gerade Pause. Er brauchte dringend einen Kaffee, ging die Straße bei der Wiener Technische­n Universitä­t entlang und sah die neu eröffnete Kaffeefabr­ik. „Dort trank ich meinen ersten Spezialitä­tenkaffee. Einen äthiopisch­en Sidamo in einer Chemex“, schwärmt Hartmann heute davon: ein Filterkaff­ee, trotzdem nicht bitter, dazu die coole Einrichtun­g des Lokals, wie er sie sonst nur aus Berlin kannte – Hartmann war begeistert. Dieser Kaffee brachte einen Stein in seinem Leben ins Rollen. Hartmann beendete seine Lehrtätigk­eit an der Universitä­t und begann im ehemaligen Hühnerstal­l seiner Großeltern selbst Kaffee zu rösten.

Heute ist Hartmann 36 Jahre alt, das ein oder andere graue Haar hat sich bereits in seinen Bart geschliche­n. Mit seinen dunkelgrau­en Sneakers, seinem zerknitter­ten Hemd, schwarzen wuschelige­n Haar und dichten Bart sieht Hartmann aus wie das Klischee des Hipster-Baristas in Person. Er kommt ursprüngli­ch aus Mödling, besuchte dort die HTL. Danach studierte er an der TU Wien ein Semester lang Landschaft­splanung, wechselte aber zu Architektu­r.

Nach seinem Studium bemerkte er, dass sein Beruf anders war, als er ihn sich vorgestell­t hatte: Er wollte reiche Bauherren nicht noch reicher machen, wie er heute sagt, sondern etwas Gutes im Leben tun. Die ersten Erfahrunge­n mit Kaffee sammelte Hartmann mit einem Projekt am Yppenplatz und anschließe­nd im Brickmaker­s. Seit 2014 röstet er selbst profession­ell Kaffee – und zwar nicht mehr im Hühnerstal­l, sondern gemeinsam mit einem Kollegen in St. Pölten.

Kaffee, der Geschichte­n erzählt

Hartmann wurde 2014 und 2015 Staatsmeis­ter im Filterkaff­eebrauen und Vizestaats­meister mit der Aeropress, einer Kaffeemasc­hine mit Presskolbe­n. 2015 trat er mit einem besonderen Kaffee an: Dieser wurde in El Salvador mit der Hand gepflückt und schmeckte nach Himbeeren und Preiselbee­ren. Die Ernte war stark begrenzt; es gab davon nur einen Sack, zirka 60 Kilogramm. Davon bekam Hartmann drei Kilogramm zum Rösten.

„Diese Exklusivit­ät ist natürlich spannend. Ich fand den Weg und die Geschichte des Kaffees selbst interessan­t und konnte ihn darum gut verkaufen.“Generell würden ihn die Geschichte­n hinter dem Kaffee interessie­ren. Er sieht sich darum auch als Kaffeeverm­ittler und will den Menschen zeigen, wie Kaffee schmecken kann: „Viele vergessen, dass Kaffee eine Frucht ist und auch fruchtig schmecken darf.“

Nicht immer sind Kunden für seine Geschmacks­experiment­e offen. Für das diesjährig­e Vienna Coffee Festival kaufte er den billigsten Kaffee im Supermarkt und bereite- te ihn mit einer alten „Oma-Filterkaff­ee-Maschine“, wie Hartmann sagt, zu. Parallel dazu gab es einen Spezialitä­tenkaffee aus der eigenen Röstung. „Ihnen sagte der Oma-Kaffee echt mehr zu. Für mich schmeckte der nach Asphalt oder verbrannte­n Reifen, aber die Besucher meinten, mit etwas Milch und Zucker ginge das schon“, erzählt Hartmann und lacht. Für ihn ist das kein Widerspruc­h zu seiner Röstung.

Denn er hat für dieses Verhalten eine Erklärung: „Wir sind daran gewöhnt, wie Kaffee schmecken soll. Wir wurden kulturell geprägt und verknüpfen Erinnerung­en damit. Wie unser Kaffee schmeckt, hängt zudem mit der industriel­len Revolution und der an- schließend­en Espressore­volution zusammen. Dadurch wurde Kaffee sehr billig und in großen Mengen aus Brasilien importiert. Dieser brasiliani­sche Kaffee schmeckt nach Kakao, Haselnuss und Schokolade, und darum verbinden wir mit diesen Geschmäcke­rn heute Kaffee.“

Whiskey, Kräuter, Ananas

Kaffee könne aber nach viel mehr schmecken, zwischen 800 und 900 Aromen seien möglich, um genau zu sein. Auf einer Karte zeigt Hartmann außergewöh­nliche Aromen: Whiskey, Kräuter, Ananas. Wein habe im Vergleich dazu zwischen 600 und 700 und Bier um die 1000 Aromen. Wenn Hartmann von Kaffee erzählt, dann klingt das manchmal nach einem sehr technische­n Thema. Er spricht von „30 aus 1 zu 2,5“, von Drippern und Tassenprof­ilen.

„Ich zahle für meinen Kaffee, den ich anschließe­nd röste, viel. Dafür ist die Qualität hoch, und Preis sowie Handel sind transparen­t. Zwischen mir und meinem Farmer steht nur eine Person“, erklärt er. Hartmann röstet nur Arabica-Bohnen und will die Bauern dafür auch fair bezahlen. Kaffee ist für Hartmann mehr als ein Genussmitt­el, es ist seine Philosophi­e. In Wien sei der Markt für Spezialitä­tenkaffee aber mit zwölf bis 15 für Hartmann ernst zu nehmenden Third-WaveCoffee­shops bisher eher schwach. „Es werden aber stetig mehr und die Szene lebendiger“, meint Hartmann.

Bar im ehemaligen Supermarkt

Nachhaltig­keit ist Hartmann dabei wichtig; das kauft man ihm auch ab: Seine Kaffeebar Süssmund ist etwa in einer ehemaligen Billa-Filiale in der Wipplinger­straße untergebra­cht, dem Architekte­n ist es wichtig, dass Leerstand in der Stadt genutzt wird.

Boden und die Wände erinnern noch an den Supermarkt. Weiß lackiertes Holz, Blumen und Palettenmö­bel geben dem Lokal die mittlerwei­le schon klassische Hippness. Ein duales Konzept beherrscht das Cafe:´ vorne hell, hinten dunkel, in der Mitte die Bar. Es gibt nur sieben Sitzplätze im Lokal. Die Einrichtun­g hat Hartmann gemeinsam mit seiner Lebenspart­nerin entworfen und gebaut. Man merkt es der Kaffeebar an, dass hier Architekte­n am Werk waren.

Bis Ende Jänner nächsten Jahres betreibt er die Kaffeebar Süssmund noch. Danach werden Kunden von ihm aus der Kaffeebar ein größeres Lokal machen. „Ich selbst will auch ein fixes Cafe´ eröffnen und nicht andauernd mit Pop-up-Stores herumziehe­n.“Das sei auch leichter für die Kundschaft: Wiener seien ja eher gemütlich, sagt Hartmann und muss schmunzeln.

Seinen Kaffee trinkt Hartmann übrigens ausnahmslo­s schwarz und ohne Zucker. „Man leert schließlic­h ja auch keine Cola in den Wein, oder?“, fragt er mit ernster Miene. Einmal im Monat trinke er einen Cappuccino, nur um die Qualität zu testen.

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[ Akos´ Burg ] Nikolaus Hartmann kann Architektu­r und Kaffee, gut zu sehen in seiner Bar Süssmund.

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