Aus dem Bauch heraus: Wenn Faustregeln schaden
Heuristik. Führungskräfte überschätzen in Veränderungssituationen ihre Fähigkeit, die Lage richtig einzuschätzen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Und vor allen unterschätzen sie ihr Talent, diese Entscheidungen auch zu kommunizieren.
Ein Manager kennt seine Zahlen. Er weiß, was getan werden muss. Er meint, es auch zu tun. Trotzdem werden 60 bis 90 Prozent aller Change-Projekte gegen die Wand gefahren. Warum?
Dieser Frage ging Renee´ Hansen nach, Absolventin der Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Donau-Universität Krems. Ihre und 15 andere MasterThesen finden sich im Sammelband „Interne Organisationskommunikation“(siehe Buchtipp).
Geht ein Veränderungsprojekt schief, schiebt das Management üblicherweise die Schuld dem Umfeld und dem Markt zu. Falsch, ergab Hansens Stakeholder-Befragung von Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Hier stellte sich rasch heraus, dass die meisten Projekte aufgrund von internen Managementfehlern scheiterten, konkret Kommunikationsfehlern.
Der Grund: Die meisten Führungskräfte wenden Heuristiken an, also Faustregeln, mit denen sie bislang gut gefahren sind. Die reichen von „haben wir immer schon so gemacht“bis zur Annahme, die Belegschaft würde genauso reagieren wie sie selbst („ich würde mir sofort einen neuen Job suchen“).
Solche Heuristikfehler passieren entlang der gesamten Kommunikationskette. Harvard-Professor John Kotter definierte diese schon 1986 in acht Schritten. Sie sind bis heute unumstritten. Schritt 1: Das Gefühl der Notwendigkeit erzeugen. Manager sind Meister im Umgang mit Fakten. Am sichersten fühlen sie sich, wenn sie solche an ihre Belegschaft weitergeben können. Die Mitarbeiter jedoch interpretieren dieselben Zahlen, Daten und Fakten ganz anders, nämlich emotional. Sie folgen auch nicht zwangsläufig der Argumentation ihrer Chefs. Der Widerstand ist umso heftiger, je mehr sie die Veränderung persönlich betrifft. Erschwerend kommt dazu, dass das Management schon länger von den Veränderungen weiß und sie längst verdaut hat. Überraschung und Betroffenheit der Mitarbeiter kann es kaum mehr nachvollziehen. Schritt 2: Eine Führungskoalition aufbauen. Theoretisch selbstverständlich, praktisch trickreich. Auch im Führungsteam verschieben sich Rollen und Allianzen ständig. Auch hier kommen den Managern Heuristiken in die Quere. Die beliebtesten: Selbstüberschätzung, auf eigenen Überzeugungen beharren (vulgo Sturheit) und Informationen in den persönlichen Deutungsrahmen einbetten (Framen). Schritt 3: Vision und Strategie. Warum wirken Firmenvisionen (vor allen die US-amerikanischer Konzerne) so seltsam blutleer? Weil sie voller abstrakter Tugendwörter sind. Gemeint sind positiv klingende Begriffe wie Inspiration, Vertrauen oder Diversität, unter denen sich die Empfänger alles Mögliche vorstellen können. Je höher die Hierarchie, desto lieber werden Tugendwörter verwendet. Dabei wäre es vor allem für die unteren Ebenen wirkungsvoller, greifbare konkrete Zielbilder und Geschichten zu kommunizieren, die „menscheln“(Storytelling). Schritt 4: Eine Vision des Wandels kommunizieren. Machen wir doch ständig, sagen die meisten Manager. Immer und immer wieder erzählen wir, was uns das Marketing ausgearbeitet hat. Wenn sie selbst ihre Leier nicht mehr hören können, festigt sie sich gerade bei der Belegschaft. Die reagiert besonders sensibel auf Manager, die Wasser predigen und Wein trinken, sprich: Das Gesagte selbst nicht konsequent leben. Dann wissen sie, dass die Führungskräfte nicht an ihren Text glauben. Praxistipp: Sprechblasen wie Transparenz, Synergie und Innovation kann niemand mehr hören. Schritt 5: Strukturierte Kommunikation. Spontane Alleingänge oder professionelle Regelveranstaltungen? Wegen häufiger Selbstüberschätzung eindeutig Letzteres. Auch damit die Botschaften nicht verwaschen. Schritt 6: Quick Wins. Aus dem Bauch heraus unterlassen es viele Führungskräfte, die ersten Teilerfolge zu kommunizieren. Meist finden sie das angesichts anderer (leidvoller) Konsequenzen unpassend. Eine Fehlentscheidung, denn die schnellen Erfolge hätten die verbleibenden Teams bestärkt. Schritt 7: Erfolgsmessung. Typischer Fall von Repräsentationsheuristik (von sich auf andere schließen): Statt systematisch zu bewerten entscheidet wieder das subjektive Bauchgefühl, was ein Erfolg war und was nicht. Schritt 8: Die neuen Ansätze in der Kultur verankern. Manche Belegschaften sind noch Jahre später nicht in der Zielkultur angekommen. Sie verharren stattdessen in einer inoffiziellen Parallelkultur. Der Bequemlichkeit wegen wird die meist von oben geduldet. Keine gute Entscheidung: Auf Dauer überwiegen Reibungsverluste. (al)