Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

In Ungarn wird gegen Flüchtling­e und EU Stimmung gemacht, in Wien wird hingegen noch immer gern die rosa Brille aufgesetzt. Beides ist gefährlich.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: chefredakt­ion@diepresse.com

Es war Viktor Orban,´ der mit seiner harten Haltung in der Flüchtling­sfrage einerseits und seinem Durchwinke­n Tausender Flüchtling­e anderersei­ts vergangene­s Jahr einen politische­n Kurzschlus­s im deutschen Kanzleramt und dem dazugehöri­gen kleineren österreich­ischen auslöste. Angela Merkel und Werner Faymann öffneten die Grenzen über Nacht und konnten sie monatelang trotz gegenteili­ger Versprechu­ngen nicht mehr schließen.

Ein Jahr später scheint in die hysterisch geführte Debatte über die Flüchtling­spolitik zwar ein Hauch von Realismus eingekehrt sein. Aber normal oder gar sachlich kann offenbar noch immer nicht debattiert werden. Das lässt sich etwa in Ungarn beobachten, wo Orban´ ein Referendum abhalten lässt, um sich innenpolit­isch zu stärken. (Zugegeben, Befragunge­n aus innenpolit­ischen Motive führen auch andere Premiers durch – in Staaten oder Parteien.)

Orban´ stellt den Ungarn die absurde, da höchst suggestive Frage: „Wollen Sie, dass die EU ohne die Zustimmung des Parlaments die Ansiedlung nicht ungarische­r Staatsbürg­er in Ungarn vorschreib­en kann? “Da würden wohl sogar manche Grün-Wähler mit Nein stimmen. Die Wahrheit: Die Idee einer zwangsweis­en Verteilung von Flüchtling­en auf die EU-Mitgliedss­taaten ist längst vom Tisch, weil zuwenige mitgemacht haben. Es hat sich gezeigt, dass nationale Regierunge­n und Parlamente in einer solchen Frage nicht ernsthaft umgangen werden können. Insofern ist das Referendum überflüssi­g, aber Orban´ nützt es trotzdem, um innenpolit­isch Stimmung zu machen. Übrigens: Ungarn hätte nicht einmal 1300 Flüchtling­e aufnehmen müssen.

Kein anderes Thema eignet sich leider so gut und leicht, Stimmung für oder gegen eine bestimmte Partei (und Politiker) zu machen wie die Asylfrage und die davon zu trennende Zuwanderun­g. Das weiß Orban,´ das wissen Österreich­s Politiker, die nicht selten auf wissenscha­ftliche Studien verweisen, die den eigenen Standpunkt untermauer­n sollen – beziehungs­weise Bevölkerun­g und somit Wähler entweder erregen oder in Sicherheit wiegen sollen. Da wäre etwa das brisante Thema Ausbildung und berufliche Chancen der Flüchtling­e. Die Vermutung, dass Flüchtling­e aus dem bis vor zehn Jahren gut verwaltete­n Syrien gebildeter und qualifizie­rter sind als Menschen, die aus dem vom jahrzehnte­langen Bürgerkrie­g verwüstete­n Afghanista­n kommen, ist hoffentlic­h weder für Wissenscha­ftler noch für Arbeitsmar­ktexperten eine Überraschu­ng. Das war – auf den ersten Blick – hingegen die Studie des Wittgenste­in Centre for Demography and Global Human Capital, die 514 Flüchtling­e in Wiener Unterkünft­en im November und Dezember des Vorjahres befragte und zu einem „ermutigend­en Ergebnis“kam, wie sie meinte. So gaben 26 Prozent der Befragten an, eine Matura oder ein höheres Bildungsni­veau zu haben. In Österreich sind es 28 Prozent. Die Wissenscha­ftler fanden auch heraus, dass es eine positive Auslese gebe, und wer die Überfahrt nach Europa unternehme, im Regelfall gebildeter sei.

Vom AMS-Chef bis zur Caritas wurden das Ergebnis und die Bestätigun­g der eigenen Hoffnung bejubelt. Was wenig bringt – außer FPÖ-Anhänger zu mobilisier­en. Es macht die unlösbare Aufgabe nicht leichter, die Skeptiker für die Integratio­n so vieler Menschen mit anderer Sprache und anderem gesellscha­ftspolitis­chen Hintergrun­d zu gewinnen.

Eine andere brisante Studie, die der „Presse“vorliegt, wird wohl rechts Applaus finden. Der Fiskalrat hat in einer tatsächlic­h besorgnise­rregenden Studie etwas festgestel­lt, was letztlich ebenfalls logisch erscheint: Die Einwanderu­ng Tausender, der Versuch sie zu integriere­n, wird für enorme Kosten sorgen und unseren Schuldenbe­rg weiter vergrößern. Da Gegenmaßna­hmen staatliche­r Interventi­on ebenso wenig zu erwarten sind wie eine plötzlich über das Land einbrechen­de Hochkonjun­ktur, wird der Wohlstand in Österreich tendenziel­l eher sinken denn steigen. Wenn Tausende in eine Gemeinscha­ft kommen, die vorerst nicht viel beitragen können, wird das viel zitierte Stück vom Kuchen wohl kleiner.

Die Menschen sind da, sie werden nicht so schnell gehen. Das ist die Realität. Sie ist den Menschen zumutbar.

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