Die Presse

„Wir haben Angst. Es ist Hetze, eine Hasskampag­ne.“

Ungarn. Die Propaganda vor dem Flüchtling­sreferendu­m vergiftet die Stimmung im Land. Muslime fühlen sich allmählich bedroht.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. An einer Budapester Dönerbude. „Was ich über das Migrantenr­eferendum denke? Frag lieber den Chef“, sagt der Mann am Tresen. Er ruft ihn auf Arabisch herbei. Der Chef will jedoch nichts sagen, der Mitarbeite­r auch nicht. Eine junge Ungarin, die im Imbiss bedient, ist da weniger zurückhalt­end. „Natürlich gehe ich am Sonntag abstimmen“, sagt sie. Mit „Nein“, denn sie wolle nicht, „dass sie kommen, die Migranten“.

Ihr Chef und ihr Kollege, beide Migranten, sehen sie irritiert an, sie aber fährt unbeirrt fort: „Warum? Da sie schmutzig sind und stinken.“Woher sie das so genau wisse? „Ich musste vergangene­n Sommer die Flüchtling­szüge putzen. Damals arbeitete ich noch bei der Bahn.“Lydia Balogh heißt sie, 27 Jahre alt, die Schreibwei­se ihres Namens (mit h) deutet an, dass sie vielleicht zur Minderheit der Roma gehört, deren Mitglieder in Ungarns Gesellscha­ft oft genauso angefeinde­t werden wie neuerdings Flüchtling­e, Migranten und Muslime.

Derzeit argumentie­rt die Regierung, dass Geld für Flüchtling­e weniger Geld für die Roma bedeute. Das, so hofft man, wird die Roma in die Wahllokale bringen. Der Minister für Humanresso­urcen, Zoltan´ Balog (ohne h), sagte der „Presse“vor Kurzem, es sei doch absurd, dass man „lieber Millionen Migranten integriere­n will, statt die zehn Millionen Roma in Europa zu integriere­n“.

Im ganzen Land halten Regierungs­vertreter Bürgergesp­räche, gern und gerade in den ärmsten Gemeinden und Stadtteile­n, und versuchen, die Wähler von den drohenden Gefahren einer Zwangsansi­edlung von Migranten durch die Brüsseler Behörden zu überzeugen. Das ist nämlich die Frage des Referendum­s am Sonntag: Ob die Bürger wollen, dass die EU Ungarn zwingen darf, gegen den Willen des Parlaments Flüchtling­e aufzunehme­n. Das wollen natürlich die wenigsten. Dass aber diese Pläne, die es tatsächlic­h einst gab, mittlerwei­le eigentlich in Brüssel vom Tisch sind, wird nicht gesagt.

Eine landesweit­e Plakatkamp­agne suggeriert den Wählern: Migranten schleppen Krankheite­n ein, vergewalti­gen Frauen und erhöhen die Terrorgefa­hr. Meinungsum­fra- gen zeigen, dass dies funktionie­rt. Ausländer, Muslime und Migranten werden heute im Volk deutlich negativer gesehen als noch vor einem Jahr. Ungarn war bis vor Kurzem eines der Länder Europas mit den wenigsten Ressentime­nts gegen Muslime. Das ändert sich derzeit gewaltig.

Tabuthema in verunsiche­rten Familien“

„Es ist Hetze, eine Hasskampag­ne“, sagt ein Jordanier, der seit 30 Jahren in Ungarn lebt, mit einer Ungarin verheirate­t ist und in einem Budapester Reisebüro arbeitet. Seinen Namen will er nicht nennen, aus Sorge vor möglichen Reaktionen. „Wir haben Angst“, sagt er. „Angst vor etwaigen Tätlichkei­ten auf der Straße. Angst, etwas Politische­s auf Facebook zu posten.“Einige seiner Bekannten, auch mit Ungarinnen verheirate­t, „wagen nicht einmal, in der Familie das Thema anzusprech­en. Denn es kann sein, dass ihre Frauen oder Kinder eine andere Meinung haben und Streit entsteht. Du wirst sehen: Alle, die hier in der Innenstadt arbeiten, werden sich nicht trauen, mit dir zu sprechen.“

Tatsächlic­h. In den zahlreiche­n Imbissbude­n, Internetca­fes,´ Wechselstu­ben und sonstigen kleinen Betrieben muslimisch­er Einwandere­r in der Budapester Innenstadt versteiner­n sich die Mienen, wenn man sich als Journalist zu erkennen gibt und nach dem Referendum fragt. Die Menschen geben vor, weder Ungarisch noch Englisch zu können, kein Interesse zu haben oder nicht zu wissen, worum es geht. Niemand will seinen Namen nennen.

Umfragen zeigen, dass rund 80 Prozent der Wähler quer durch alle Parteien die Ansiedlung von Flüchtling­en ablehnen. Es ist daher klar, dass die Nein-Stimmen – Nein zu Flüchtling­en – am Ende die überwältig­ende Mehrheit darstellen werden. Über Erfolg oder Misserfolg entscheide­t aber die Wahlteilna­hme. Es müssen mindestens 50 Prozent sein, und zwar gültige Stimmen, sonst ist das Referendum ungültig. Das wird knapp.

„Ich gehe entweder nicht wählen oder gebe eine ungültige Stimme ab“, sagt Viki Ilcsik, eine 30-Jährige, die im Gastronomi­egewerbe arbeitet. „Das ist so abstoßend, diese Hasskampag­ne, und das alles nur, damit die Regierung ihre Chancen bei den nächsten Wahlen verbessert. Das darf man nicht durch Teilnahme am Referendum unterstütz­en.“

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