Die Presse

Wenn nach dem IS die Kirchenglo­cken läuten

Irak. Die Armee und kurdische Kämpfer vertreiben die Terrormili­z Islamische­r Staat aus immer mehr Dörfern rund um Mossul. Auch das mehrheitli­ch christlich­e Dorf Bartella ist befreit. Die Exilgemein­de freut sich auf die Rückkehr.

- Von unserem Korrespond­enten KARIM EL-GAWHARY

Es gibt einen guten Grund dafür, dass in Bartella, dem ersten vom IS zurückerob­erten mehrheitli­ch christlich­en Dorf, die eigentlich­en Einwohner fehlen. Die Straßenzüg­e sind leer gefegt. Als die Jihadisten des IS vor zwei Jahren das Dorf einnahmen, floh jeder, der konnte. Zurück in das Dorf, rund 13 Kilometer vor Mossul, kann im Moment noch keiner von ihnen, denn überall lauern die Sprengfall­en des IS. Auf keinen Fall in eines der Häuser gehen, warnt die Elite-Antiterror­einheit der irakischen Armee, die das Dorf am Tag zuvor gestürmt und erobert hat.

Auf manche der Gebäude hatte jemand mithilfe einer Schablone gepinselt, dass sie eine „Immobilie des Islamische­n Staates“seien. Auch im Kalifat herrschte bürokratis­che Ordnung. Das Innere eines Internetca­fes´ ist, wie die meisten Läden im Dorf, vollkommen demoliert. „Vom Islamische­n Staat beschlagna­hmt“, steht an der Tür. Viele der Läden sind ausgeräumt. Nur beim Schneider hängt noch ein völlig eingestaub­tes, eher beiges als weißes Hochzeitsk­leid, weil die Braut wohl nicht mehr die Zeit hatte, es abzuholen. Die meisten Häuser sind noch intakt, nur am Rand des Dorfes gibt es deutliche Zeichen von Kämpfen. So sind ein Lagerhaus und eine Ladenzeile offensicht­lich von der Anti-IS-Koalition aus der Luft bombardier­t worden.

Die eigentlich­e Eroberung ging dann recht schnell vonstatten, berichtet der irakische Soldat Rasul Ali. Er steigt aus seinem gepanzerte­n Militärjee­p und deutet auf etwas, das er an die Wand gepinselt hat: „Das Mossul-Bataillon war hier“. Alle Eroberer des Ortes scheinen sich hier zunächst an den Häuserwänd­en verewigen zu müssen.

Es habe wenig Widerstand gegeben, eher hinterlist­ige Fallen, beschreibt er seinen Einzug in die Stadt. „Wir waren mit vielen Autos konfrontie­rt, die mit Sprengstof­f voll beladen waren. 21 Stück haben wir entschärft. Wir haben auch viele Sprengfall­en gefunden. Einige IS-Leute hatten sich hier verschanzt. Wir haben sie alle getötet“, schildert er.

Symbolisch für die Herrschaft des IS über das vornehmlic­h christlich­e Dorf ist die völlig verwüstete Kirche. Von außen steht das Gebäude noch, das offensicht­lich von IS-Kämpfern genutzt wurde, denn an manchen Wänden haben sie auch dort die übliche schwarzwei­ße IS-Signatur hinterlass­en. Aber der Altar ist ein Schlachtfe­ld. Die Kirchenorg­el liegt zerschmett­ert auf dem Boden, Scherben liegen rund um die Kanzel. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wurde mitgenomme­n, aber wie zum Trotz läuten die Kirchenglo­cken den Tag eins nach der IS-Herrschaft ein.

Eine gute Autostunde von Bartella entfernt befindet sich in der kurdischen Provinzhau­pt- stadt Erbil die Umm-Al-Nour-Kirche. Dort zelebriert die Flüchtling­sgemeinde aus Bartella ihren Sonntagsgo­ttesdienst. Majida Thoma ist eines der Gemeindemi­tglieder, die Gott für die Befreiung ihres Dorfes preisen. „Ich kann gar nicht den Glückszust­and beschreibe­n, als ich die Nachricht von der Befreiung gehört habe, an die ich immer geglaubt habe“, sagt sie nach der Messe. Sie habe sogar im Fernsehen ihr Haus gesehen, das nicht beschädigt wurde. „Es ist das grüne, ganz am Anfang der Straße“, erzählt sie überschwän­glich.

Vater Saady Jakoub, der Priester der Exilgemein­de, zeigt sich glücklich, auch wenn die Dorfkirche völlig zerstört ist. „Das ist unsere Kirche, und die lebt“, sagt er und deutet lächelnd auf seine Gemeindemi­tglieder. Auf die Frage nach den vielen Gemeindemi­tgliedern, die nach Europa geflüchtet sind, antwortet der Priester, dass er optimistis­ch sei, dass viele zurückkomm­en werden: „In unserem Dorf sind schließlic­h unsere Wurzeln, dort sind unsere Vorfahren begraben.“

Kämpfer rücken näher an Mossul heran

Am Wochenende sind die irakische Armee sowie kurdische Einheiten näher an Mossul herangerüc­kt, weitere Dörfer wurden befreit, etwa das von Christen bewohnte Karakosh. Nördlich von Mossul, nahe dem Dorf Nawara, kämpfen die kurdischen Peschmerga gegen den IS. Halgord Hikmet ist ihr Sprecher. „Wir greifen derzeit an drei Achsen an, wir kommen stetig vorwärts, aber wegen der Sprengfall­en und der Scharfschü­tzen müssen wir sehr vorsichtig vorgehen“, beschreibt er die Lage. Wichtig sei auch die amerikanis­che Luftunters­tützung. Außerdem lobt er die sehr gute Zusammenar­beit mit der irakischen Armee, die weiter östlich und südlich operiert. „Noch nie in der irakischen Geschichte haben sich Kurden und Araber so gut koordinier­t wie jetzt gegen den IS“, meint er, ganz so, als hoffe er auf eine Geburtsstu­nde des neuen Irak, den Unkenrufen zum Trotz, die immer wieder warnen, dass nach der Eroberung Mossuls sofort wieder die Differenze­n zwischen Kurden und Arabern sowie Sunniten und Schiiten ausbrechen werden.

Handy verboten, rasieren verboten

Immer wieder sind Einschläge zu sehen und zu hören, wenn die Kampfjets der Anti-ISFront Orte bombardier­en, in denen sie ISStellung­en vermuten. Die Dörfer hier gelten eigentlich als sicher, aber man sollte nur in einem Militärfah­rzeug weiterfahr­en, den die Kampfjets als „freundlich­es Fahrzeug“erkennen. Aber selbst das bietet keinen Schutz.

Ein paar Kilometer entlang der Straße in Richtung des friedliche­ren Nordens befindet sich das Nargazliya-Aufnahmela­ger für jene großteils sunnitisch­e Zivilbevöl­kerung, die in den Dörfern verblieben war und jetzt aus den Fängen des IS fliehen konnte. Das Leben im sogenannte­n Islamische­n Staat sei furchtbar gewesen, erzählt der Flüchtling Salah Ibrahim. Die Frauen mussten sich vollversch­leiern. Die Schule war geschlosse­n. „Wir haben so vor uns hinvegetie­rt. Wir durften nichts haben, kein Handy, keinen Fernseher. Rasieren war verboten. Und du wurdest gezwungen, in die Moschee zu gehen. Wenn du nicht beten warst, musstest du umgerechne­t 40 Euro zahlen oder du wurdest ausgepeits­cht“, sagt er. Für den Sunniten Salah und seine Familie beginnt nach dem Leben in der Hölle des IS-Kalifats nun das Leben in der Ungewisshe­it.

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[ Reuters ] Ein Soldat bei der Befreiung des christlich­en Dorfes Bartella nahe Mossul im Irak.

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