Die Presse

Harter Brexit: Politik und Banken wetzen Messer

Großbritan­nien. Die Regierung droht der EU mit zehn Prozent Firmensteu­er, die Finanzbran­che mit rascher Flucht.

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Wien/London. Großbritan­nien und Europa stehen vor einem Scheidungs­krieg. Das Szenario eines harten Brexit nimmt immer deutlicher­e Konturen an. Beim EU-Gipfel in Brüssel vorige Woche zeigten sich die Staatschef­s entschloss­en, in den Verhandlun­gen mit den Briten kein Rosinenpic­ken zuzulassen: Wer die Pflichten einer Mitgliedsc­haft ablehnt, könne nicht mit freiem Zugang zum Binnenmark­t rechnen. Jetzt schlägt London zurück, wenn auch noch inoffiziel­l. „Wir haben ziemlich gute Karten, die wir ausspielen können, wenn sie uns Schwierigk­eiten machen“, zitiert die „Sunday Times“einen Insider. Konkret geht es um einen Vorschlag von Beratern der Premiermin­isterin Theresa May: Die Unternehme­nssteuer soll auf die Hälfte sinken, von 20 auf zehn Prozent, um damit kontinenta­le Firmen auf die Insel zu locken.

Auf diese Idee kam schon im Juli George Osborne. Aber der mittlerwei­le ausgetausc­hte Schatzkanz­ler drohte nur mit 15 Prozent. Ein Satz von zehn Prozent würde auch das Geschäftsm­odell Irlands herausford­ern, das mit seinen 12,5 Prozent (samt zahlreiche­n Sonderdeal­s und Schlupflöc­hern) der bevorzugte Sitz großer US-Konzerne für ihr Europagesc­häft wurde – sehr zum Leidwesen der übrigen EU-Finanzmini­ster.

Mit dieser Drohgebärd­e will London neue Zölle für britische Waren verhindern und das „Passportin­g“bewahren – das Recht von Banken und anderen Finanzdien­stleistern der City of London, in der gesamten EU ihre Dienste anbieten zu können.

Wegzug vor Weihnachte­n

Aber die Branche vertraut offenbar nicht auf die Verhandlun­gsstärke von Mays Team. Sie droht der Regierung ihrerseits mit einem raschen Wegzug aus Großbritan­nien. Die Großbanken wollen bereits zu Beginn kommenden Jahres damit anfangen, das Land zu verlassen, schreibt Anthony Browne, Chef des Branchenve­rbands BBA, im „Observer“. Kleinere Institute hätten es sogar noch eiliger: Sie sollen noch vor Weihnachte­n beginnen, ihre Koffer zu packen. Auch wenn hier taktische Übertreibu­ng im Spiel sein mag: Es spiegelt die wachsende Angst der Branche vor einem harten Brexit und dem Verlust des Marktzugan­gs. Gegen dieses Risiko müssen die Banken vorsorgen – besser zu früh als zu spät.

Eleganter können sich ausländisc­he Industriek­onzerne gegen die Unsicherhe­it absichern. Nissan etwa plant Investitio­nen ins größte britische Autowerk. Aber Firmenchef Carlos Goshn lässt die Entscheidu­ng davon abhängen, ob die Regierung das Brexit-Risiko übernimmt – indem sie ihm Entschädig­ungen zusagt, für allfällige neue Zölle für Exporte in die EU. (red.)

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