Die Presse

„Es ist komplizier­t, bewusst zu leben“

Interview. Menschen, die komplett aus der Gesellscha­ft aussteigen, seien bewunderns­wert, findet die Musicaldar­stellerin Marjan Shaki. Auch sie schätze ein reduzierte­s Leben, trinke aber hin und wieder auch gern Sekt in einer fancy Bar.

- VON JEANNINE BINDER UND NICOLE STERN ] Clemens Fa\ry ]

Die Presse: Gerade haben Sie „Evita“abgespielt. Wissen Sie schon, was als Nächstes kommt? Marjan Shaki: Ich bin jetzt erst einmal wieder Vollzeit-Mami. Das ist auch gut. Meine Tochter ist eineinhalb Jahre alt, und Hauptrolle­n spielen als Mutter und am Theater ist wirklich anstrengen­d.

Das Geld, das Sie verdient haben, reicht also für einige Zeit. Das kommt auf meinen Standard an. Aber ich brauche nicht viel Geld zum Leben, deshalb werde ich eine ganze Weile damit auskommen. Mein Mann (Musicaldar­steller Lukas Perman, Anm.) und ich haben in den vergangene­n Jahren sehr viel gearbeitet. Mir war klar, dass ich eine Weile bei meiner Tochter bleiben möchte. Das muss man sich auch leisten können.

Sie haben also auf diese Zeit hingespart? Von meinen ersten Gagen habe ich mir schon etwas geleistet, aber schnell gemerkt, ich brauche das Zeug nicht. Wir reisen sehr viel, mit fünf Unterhosen und drei T-Shirts im Rucksack. Da merkt man, wie sehr man sich reduzieren kann. Wir leben hier wirklich im Überfluss.

Ist es eine bewusste Entscheidu­ng, in diesem Überfluss mit wenig zu leben? So konsequent bin ich dann auch nicht. Ich bewundere Leute, die es schaffen, komplett auszusteig­en. Das kann ich nicht. Ich muss gestehen, dass ich auch gern hochwertig­es Essen einkaufe. Und BioZeug kostet nun einmal. Aber Klamotten, Autos, Schmuck, da lege ich nicht so viel Wert drauf.

Weil Sie sagen „gestehen“: Muss man sich dafür genieren, dass man gern gutes Essen einkauft? Nein, für gutes Essen, das man teuer bezahlt, muss man sich nicht genieren. Das ist man nicht nur sich selbst, sondern der ganzen Welt schuldig, dass man nicht auch noch Billigflei­sch kauft. Aber ich würde mich gern noch mehr reduzieren. Da geniere ich mich manchmal, dass ich es einfach nicht schaffe. Weil ich dann doch ganz gern die Vorzüge des Konsums genieße. Ich sage mir: Wenn man sich bewusst mal was gönnt und es nicht als selbstvers­tändlich sieht, ist das schon in Ordnung.

Wie würde das aussehen, so ein noch reduzierte­res Leben? Vielleicht eine kleinere Wohnung, weniger Auto fahren, die ganzen Plastikver­packungen weglassen. Ich kriege jedes Mal einen Schock, wenn ich aus dem Supermarkt komme, wie viel Dreck da zusammenko­mmt. Da schäme ich mich richtig. Dann denke ich, nächstes Mal nehme ich meine eigenen Sackerln mit oder gehe mit der Kiste zum Markt. Aber es ist komplizier­t und mühsam, bewusst zu leben.

Hat sich diese Einstellun­g mit dem Kind geformt? Das kam in den vergangene­n Jahren, vor allem durch die Reisen. Ärmere Länder in Asien und Südamerika haben ganz andere Probleme als Umweltschu­tz. Die gehen komplett unter im Müll. Bei uns sieht man den Dreck nicht, weil das für uns organisier­t wird. Wir könnten alle noch mehr beitragen.

Hält dieses Bewusstsei­n nach Ihren Reisen länger an? Das ist die große Herausford­erung. Jedes Mal denke ich, jetzt werde ich mein Leben komplett ändern. Das geht zwei, drei Wochen gut, und dann kippe ich wieder in alte Muster hinein. Wir sind auch schon zurückgeko­mmen und haben gesagt, jetzt ziehen wir aufs Land, werden Selbstvers­orger und bauen unsere eigene Kläranlage. Mittlerwei­le bin ich nicht mehr zu streng mit mir. Grundsätzl­ich finde ich es sehr erstrebens­wert, sich komplett zu reduzieren.

Muss sich reduzieren bedeuten auszusteig­en? Kann man nicht auch mitten in der Gesellscha­ft ein bescheiden­es Leben führen? Aussteigen ist eine Lebensents­cheidung. Da bist du abgeschirm­t, Verzicht ist viel einfacher, als wenn du in der Stadt lebst. Und es macht ja auch Spaß zu konsumiere­n. Ich gehe auch gern mit meinen Kollegen in eine fancy Bar und trinke ein paar Gläser Sekt. Danach denke ich, das war jetzt viel zu teuer – aber es war auch ein schöner Abend.

Wie ist das in der Musicalwel­t: Entspricht sie dem Klischee, dass alles im Überfluss vorhanden, alles glamourös ist? Natürlich ist alles sehr chichi und extroverti­ert. Aber ich erlebe auch immer wieder sehr echte Momente. Gerade mit Menschen, die schon lang im Beruf sind und wissen, dass es oft nicht so glamourös ist, wie es scheint. Und es auch sehr desillusio­nierend sein kann – wenn du etwa nicht der Star wirst, der du werden wolltest. Irgendwann überlegt man, was wirklich wichtig ist: das Geld, die Vita oder die Familie? Was wärmt dich abends? Wohl nicht dein Lebenslauf.

Haben Sie schon einmal überlegt, Ihrem Beruf den Rücken zu kehren? Ich hatte schon so eine Phase. Da dachte ich, das ist alles so eitel. Ich habe mich zu sehr darüber definiert, wie groß der Applaus ist und die Rolle. Aber dann erkannte ich wieder, warum ich das ursprüngli­ch machen wollte: aus Freude am Spielen und daran, Menschen zu unterhalte­n. Aber es gibt eben auch einen Mainstream, man macht viel Schrott für viel Geld. Das verfehlt den Auftrag.

Machen Sie auch viel Schrott für viel Geld? Hin und wieder. Aber es fällt mir schwer. Mein Mann und ich hatten einmal die Idee, Schlager zu machen. Aber wir haben festgestel­lt, das geht für uns nicht. Da kann man viel Geld machen. Aber wir haben es nicht gepackt.

Wie unterschei­det sich die Musical- von der Theaterwel­t? Im deutschspr­achigen Raum belächeln sich diese Genres oft gegenseiti­g. In Amerika arbeiten Schauspiel­er übergreife­nd: Sie machen Theater, CDs, Musical, Werbung, moderieren. Hier steht bei Theatervor­sprechen oft dabei, Musicaldar­steller bitte nicht bewerben, weil das Klischee vorherrsch­t, die können nicht schauspiel­ern. Schauspiel beanspruch­t für sich ein biss- chen das Attribut, intellektu­eller zu sein. Aber nur weil ich Brecht spiele, macht mich das nicht zu einem intelligen­ten Menschen. Ich habe den Text ja nicht geschriebe­n, nur auswendig gelernt.

Ein Unterschie­d ist, dass Musical viel besser bezahlt ist, oder? Das kommt darauf an. Bei den Vereinigte­n Bühnen verdient man entspreche­nd, die spielen aber auch sechs, sieben Shows pro Woche. Und sind anders subvention­iert. Es gibt schon ein großes Gefälle zum reinen Sprechthea­ter. Das nährt auch eine gewisse Einstellun­g, dass das Musical wie Starbucks-Kaffee ist: Da kriegt man mehr, also ist das Mainstream. Aber auch im Musical gehen die Gagen runter. Wie stark ist die Konkurrenz unter den Darsteller­n? Klar gibt es die. Ich bin zum Glück relativ frei von Neid. Es bringt mich nicht weiter, mich zu ärgern. Man muss seinen Marktwert kennen und schauen, dass man entspreche­nd abgegolten wird. Wenn es für dich passt, passt es. Viele Menschen müssen richtig arbeiten für das, was du für zweieinhal­b Stunden am Abend kriegst. Das ist ein sehr privilegie­rtes Leben.

Sind Sie eine harte Verhandler­in, wenn es um Ihre Gagen geht? Das kommt darauf an, wie sehr ich die Produktion machen will. Es geht nicht nur ums Geld. Wenn ich das Gefühl habe, es bringt mich künstleris­ch und menschlich weiter, ist es nicht so wichtig. Ich weiß aber auch, was ich bei welchen Veranstalt­ern verlangen kann. Ich glaube, ich bin da milder geworden. Früher war ich zickiger.

Ist es zickig, wenn man auf eine angemessen­e Entlohnung pocht? Man muss wissen, in welchem Alter man ist und wo man auf der Karriereba­hn steht. Und ob das, was man kriegt, nicht eh angemessen ist und man nur aus Prinzip ein Schäufelch­en drauflegen will. Wirklich hart werden kann ich bei Charity-Sachen. Da kann ich auf die Barrikaden gehen, wenn wegen ein paar Euro herumdisku­tiert wird. Das ist so kleinlich.

Woher kommt Ihr soziales Engagement? Wahrschein­lich ein Helfersynd­rom (lacht). Man fühlt sich am Ende des Tages besser, wenn man etwas Gutes getan hat. Ich möchte etwas abgeben. Das muss nicht immer Geld sein, es kann auch Aufmerksam­keit sein.

Als Schauspiel­er ist man ja selbststän­dig. Hatten Sie je finanziell­e Sorgen oder Ängste? Nein, nie, auch vor dem Kind nicht. Und es ist jetzt nicht so, dass ich einen Riesenback­ground habe von zu Hause. Ich habe immer darauf vertraut, dass alles gut ist. Arbeit gibt es immer, wenn nicht am Theater, gehe ich eben kellnern. Diese Selbststän­digkeit ist eine Typfrage. Mich macht das frei, ich habe das Gefühl, ich kann mein Leben selbst gestalten.

Wie wichtig ist Ihnen Ruhm? Ich finde diesen Starrummel total bescheuert. Wenn Mütter am Theaterein­gang stehen und sagen, ihre Tochter will auch Musicalsta­r werden, sage ich, vielleicht wird sie besser erst einmal Darsteller­in. Erst als wir begonnen haben, Benefizges­chichten zu machen, dachte ich, jetzt wäre ich gern berühmt. Da hast du eine ganz andere Macht und Einfluss.

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