Die Presse

„Das ist mir fast schon peinlich“Lonergans Kino der Unfälle

Film. Als Star der Independen­tszene steht Kenneth Lonergan mit seinem neuen Streifen vor seinem großen Durchbruch. Die Viennale widmet ihm ein Tribute.

- VON KÖKSAL BALTACI

Ungeduldig dürfen Fans von Kenneth Lonergan nicht sein. In seiner 15-jährigen Karriere als Regisseur hat er es auf gerade einmal drei Filme gebracht – „You Can Count on Me“(2000), „Margaret“(2011) und jetzt „Manchester by the Sea“. Das Drama, ein veritabler OscarAnwär­ter, eröffnete die diesjährig­e Viennale. „Was soll ich machen, ich brauche nun einmal mindestens zwei Jahre für ein Skript. Inklusive Dreh und Schnitt dauert die Fertigstel­lung eines Films vier Jahre – und das auch nur, wenn nichts schiefgeht“, sagt der 54-Jährige im „Presse“-Gespräch. „Außerdem schreibe ich ja auch Theaterstü­cke und habe eine 14-jährige Tochter, mit der ich gern Zeit verbringe. So gesehen sind drei Filme in 15 Jahren gar nicht so wenig.“

„Manchester by the Sea“, in Sundance uraufgefüh­rt und von Kritikern umjubelt, erzählt vom Handwerker Lee Chandler (Casey Affleck), der nach dem Tod seines Bruders alleiniger Vormund von dessen 15-jährigem Sohn Patrick (Lucas Hedges) wird und notgedrung­en in seine Heimatstad­t Manchester by the Sea zurückkehr­t, die er mit einem nie überwunden­en Trauma verbindet. Ursprüngli­ch hätte Matt Damon die Hauptrolle übernehmen sol- len, er ist nun einer der Produzente­n des Films, arbeitete auch am Drehbuch mit und war laut Lonergan „einer der wichtigste­n Unterstütz­er dieses Projekts“. In weiteren Rollen sind Michelle Williams, Kyle Chandler und Matthew Broderick zu sehen.

Lonergan begann seine Autorenkar­riere in den 1990er-Jahren am Theater und wirkte auch am Skript von Martin Scorseses „Gangs of New York“(2002) mit. Die Viennale widmet „einem der wichtigste­n Vertreter des amerikanis­chen Gegenwarts­kinos“als erstes Festival ein Tribute in seiner Anwesenhei­t. Neben seinen eigenen Regiearbei­ten wird der gebürtige New Yorker auch eine „Carte Blanche“persönlich präsentier­en. Dass jeder seiner bisherigen Filme einen Unfall mit dramatisch­en Konsequenz­en für alle Beteiligte­n beinhaltet, ist Lonergan, wie er sagt, „fast schon peinlich“. Ihm selbst falle das beim Entwickeln der Geschichte­n gar nicht auf, „weil es in jedem meiner Filme um ganz eigene Konflikte geht. An die tragischen Unglücke werde ich immer dann erinnert, wenn mich Zuschauer darauf hinweisen. Daran kann ich wohl nicht viel ändern.“

Wunschkand­idat Casey Affleck

Befürchtun­gen, dass Casey Affleck als Bruder von Superstar Ben Affleck zu viel Aufmerksam­keit auf sich ziehen und dem Film schaden könnte, habe Lonergan zu keinem Zeitpunkt gehabt. Affleck sei nach Damons Absage sein Wunschkand­idat gewesen. „Er kann auf seine eigene Karriere zurückblic­ken und hat in diesem Film einen großartige­n Job gemacht. Bei einigen Szenen war ich sprachlos angesichts der Intensität seines Spiels.“Er sei überhaupt nicht eitel gewesen und habe sich immer auf seine Ko-Stars eingestell­t.

Affleck und die anderen Darsteller seien es auch, für die er sich Auszeichnu­ngen wünsche. „Wenn ich selbst welche bekomme, freue ich mich natürlich auch. Wenn nicht, wäre das aber überhaupt kein Problem, da der Film bisher so gut ankam und ich sehr glücklich mit dem Ergebnis bin.“

 ?? [ APA ] ?? Kenneth Lonergan nach der Vorstellun­g seines Films „Manchester by the Sea“im Wiener Gartenbauk­ino.
[ APA ] Kenneth Lonergan nach der Vorstellun­g seines Films „Manchester by the Sea“im Wiener Gartenbauk­ino.

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