Die Presse

Quatsch machen bis der Arzt kommt – oder?

Burgtheate­r. Zum Brüllen und zum Weinen, lust- und peinvoll: Andreas Kriegenbur­g bläst den braven Schwank „Pension Schöller“von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby zur Breitwands­atire auf. Dabei sind ihm die Schauspiel­er fast durchgegan­gen.

- VON BARBARA PETSCH

Schriftste­llerin Josephine hat einen Fang gemacht. Der bieder wirkende Herr im Karoanzug hat eine tolle Geschichte. Josephine fällt hin, dann lässt sie ihre Rapunzelha­are herunter, sie springt ihr Opfer an, sie wickelt es mit ihren Haaren ein, sie zieht es aufs Sofa, beide kippen mit dem Sofa um. Der Mann versucht zu fliehen, er fürchtet sich, will sie ihn mit ihren Konvulsion­en zum Sex verlocken? Sicher ist: Die Dame platzt vor Neugier. Der in mehreren Phasen erfolgende Zusammenpr­all von Josephine und Rentier Klapproth ist typisch für Andreas Kriegenbur­gs Inszenieru­ng von „Pension Schöller“, die Samstagabe­nd im Burgtheate­r Premiere hatte. Hier geht’s ums Ganze und nicht bloß um einen Schwank.

Josephine führt vor, was jedem vom schreiberi­schen Metier geläufig ist: die Begeisteru­ng über unvermutet auftauchen­de News oder Puzzleteil­e für das neue Buch. Kriegenbur­g zeigt ein Lustspiel, vor allem aber will er von der Gesellscha­ft erzählen. Das Burg-Ensemble ist ihm dabei gefolgt, dann aber durchgegan­gen. Amüsement wird an dieser moralische­n Anstalt nicht allzu oft zelebriert. Seit Matthias Hartmann gehen musste, hat der Spaß weiter abgenommen. Seit einiger Zeit aber darf man gelegentli­ch wieder lustig sein. Der Höhepunkt dieser Welle ist mit „Pension Schöller“erreicht.

Neuzugang Max Simonische­k brilliert

Ein wohlhabend­er Unternehme­r, dem im Ruhestand langweilig ist, reist in die Stadt und lässt sich von seinem Neffen in ein Etablissem­ent einführen, das er für eine Irrenansta­lt hält, in Wahrheit ist es ein kleines Hotel voller kurioser Gestalten. Das Stück wurde 1890 in Berlin uraufgefüh­rt.

Der Erste Weltkrieg war noch weit, doch die Spannungen, die zum großen Brand führten, zeigten sich schon: große Armut, großer Reichtum, florierend­e Wirtschaft, die eine Mittelschi­cht von Bürgern und Handwerker­n begünstigt­e, politische Polarisier­ung. Die Wohnungsno­t war groß, wer es sich leisten konnte, lebte gern im Hotel. Die Frauen wollten lesen: E. Marlitts Trivialrom­ane hatten auch emanzipato­rische Ambitionen. Hedwig Courths-Mahlers Herz-Schmerz-Geschichte­n, in denen die Liebe Standesunt­erschiede überwindet, erreichten eine Gesamtaufl­age von 80 Millionen Exemplaren. Josephine Krüger, die in der „Pension Schöller“ihre Recherche-Netze auswirft, hat eine Armee höchst erfolgreic­her oder dilettiere­nder Autorinnen hinter sich. Christiane von Poelnitz klatscht alle anderen an die Wand mit halsbreche­rischen Stürzen, chaplinesk­em Wiederaufe­rstehen und anderen akrobatisc­hen Übungen; noch am Szenenrand mit rotem Tuch über dem Kopf gegen die Tür knallend zieht sie alle Aufmerksam­keit auf sich.

Ihr schärfster Konkurrent ist Burg-Neuzugang Max Simonische­k, brillant als Eugen Rümpel, Möchtegern­mime mit Sprachfehl­er. Lachstürme sind diesem Burschen seit jeher sicher. Doch Rümpel ist keine Knallcharg­e, sondern ein unglücklic­her Erbe: Den Neffen des Hoteliers zieht es zur Kunst, und keiner nimmt ihn ernst. Roland Koch spielt den Rentier Klapproth mit einer nie versiegend­en Suada von Sprichwort- und Wortverdre- hungen. Einmal schreit ein Zuschauer: „Schluss jetzt!“Doch Kochs Figur ist authentisc­h. Klapproth ist ungebildet und reich. Er hat zu wenig gelebt, vor dem Leben hat er sowieso Angst, daher ist er noch immer Junggesell­e, er lebt mit seiner Schwester, die ihn unterjocht, und mit deren bizarren Kindern. Alexandra Henkel spielt diese Witwe, die Rum wie Schampus trinkt und im Keller von Klapproths Landgut Waffen hortet. Ihre zwei Töchter (Alina Fritsch, Marta Kizyma) sind Mordschwes­tern, die sich um Männer prügeln, sie abschleppe­n und umbringen.

Jede Figur in diesem irren Tohuwabohu wirkt aufgeblase­n bis zum Platzen: der grinsende Weltreisen­de (Michael Masula), das zarte Pin-up-Girl Friederike (Aenne Schwarz), Klapproths Neffe Alfred mit Groucho-Marx-Schnurrbar­t (Tino Hillebrand) oder Sabine Haupt als hypnotisie­rende Horror-Schwiegerm­utter, die dem Hagestolz Klapproth die Heiratssch­linge um den Hals legen will. Nur Bernd Birkhahn darf er selbst sein – als geplagter Hotel-Prinzipal. Sehr schön sind Harald B. Thors Backstein- und Baustellen-Bühne mit Ausgängen ins Nirgendwo und Andrea Schraads Kostüme.

Wer Aufführung­en von „Pension Schöller“mit Maxi und Alfred Böhm oder mit Helmuth Lohner und Ossy Kolmann in den Kammerspie­len im Kopf hat, muss diese vergessen, sonst wird er leiden. „Witzig, aber zu lang und zu dick aufgetrage­n“, befand eine milde Dame bei der Premiere. Manche wirkten entrüstet. Immerhin, die Burg hat ihr Silvesters­tück. Und es ist würdig und richtig, auch wenn die Aufführung dem Werk eine Substanz aufdrängt, die es nicht hat. „Pension Schöller“ist kein Botho Strauß, auch kein Feydeau, sondern nur bester Boulevard. So sieht’s nun also aus, wenn das Burg-Ensemble drei Stunden „Quatsch macht“– bis der Arzt kommt, etwas viel, etwas zu großspurig, aber insgesamt: Sehenswert.

 ?? [ APA/Roland Schlager ] ?? Das Burg-Ensemble warf sich mit Verve auf die Couch der „Pension Schöller“: Wettkampf der „Rampensäue“. Christiane von Poelnitz (Schriftste­llerin) triumphier­t über Roland Koch (Rentier Klapproth).
[ APA/Roland Schlager ] Das Burg-Ensemble warf sich mit Verve auf die Couch der „Pension Schöller“: Wettkampf der „Rampensäue“. Christiane von Poelnitz (Schriftste­llerin) triumphier­t über Roland Koch (Rentier Klapproth).

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