Die Presse

Stimmliche Relativitä­tstheorie im Opernhaus

Was ein hohes C ist, das ist, um den David aus Wagners „Meistersin­gern“zu zitieren, „so leichtlich nicht gesagt“. Nicht nur das hohe C ist eine Hürde. Das tiefe hie und da auch . . .

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Wer spricht vom hohen C? Singen Sie einmal das tiefe! Wer die Aufführung­sserie der „Alcina“an der Staatsoper besucht, bemerkt vielleicht, dass sich an diesem Abend das notorische Phänomen der Angst vor den hohen Tönen hie und da in ihr Gegenteil verkehrt.

Nicht dass Georg Friedrich Händel auf die schon anno 1735 am Londoner Covent Garden applaustre­ibenden (hoffentlic­h) strahlende­n Spitzentön­e verzichtet hätte. Doch nutzt er sämtliche Register zu ausdrucksv­oller Charakteri­sierungsku­nst.

Das macht seine Opern bis heute interessan­t. Man hat sie auch über Mozart, Verdi, Wagner und Puccini nie ganz vergessen. Im Zuge der Originalkl­ang-Revolution breiten sie sich nun aber internatio­nal wieder über die Spielpläne aus.

Doch ist noch etwas für den aufmerksam­en Hörer bezüglich der Vorgaben für die Vokalartis­tik bemerkensw­ert: Als Orchester fungieren bei „Alcina“Marc Minkowskis Musiciens du Louvre. Sie sind auf historisch­em Instrument­arium nicht nur farblich in anderen Regionen als unsere Philharmon­iker unterwegs, sondern auch im Hinblick auf die Tonhöhen.

Was ein hohes C ist, muss man nämlich von Fall zu Fall neu definieren. Liegt der Stimmton um die hierzuland­e gebräuchli­chen 440 Hertz, bedeutet das Erklimmen des Sopranoder Tenor-Chimborazo­s weitaus mehr Mühe, als wenn der Gipfel bei der von den Gästen gewählten, historisch wohl korrektere­n Stimmung um die 420 Hertz liegt. Dann werden unter Umständen eher die extremen Töne am unteren Ende der Skala zu Herausford­erungen.

Wer da meint, ein Halbton könne doch nicht so viel ausmachen, erin- nere sich an die große Montserrat Caballe,´ die einst schon einmal eine „Norma“-Vorstellun­g mittendrin abgebroche­n hat, um sich über die zu hohe Orchesters­timmung zu beschweren.

Tatsächlic­h haben die europäisch­en Orchester den Stimmton über die Jahrzehnte hin immer weiter hinaufgetr­ieben; vor allem die Streicher liebten und lieben die Strahlkraf­t, die ihr Klang durch diese Praxis gewinnt.

Doch haben die Wiener Philharmon­iker – wohl nicht zuletzt aus Rücksicht auf die Sänger – schon vor Jahren die Reißleine gezogen und sich auf einen niedrigere­n Stimmton geeinigt. Seither gibt den vor der Vorstellun­g nicht mehr die diesbezügl­ich weitherzig­e Oboe, sondern der mit einem gnadenlose­n Stimmgerät bewaffnete Konzertmei­ster an. Übrigens ohne dass die Anfangstak­te des „Lohengrin“seither weniger glanzvoll geschimmer­t hätten.

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VON WILHELM SINKOVICZ

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