Die Presse

„Wenn du nichts riskierst, tun es andere“

Buchmesse. Der große US-Verleger John Galassi sprach mit der „Presse“über Frankfurt und seine Büchermani­e.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Fast linkisch wirkt er, kaum zu glauben, dass dieser Mann seit über drei Jahrzehnte­n einer der Wichtigste­n der USamerikan­ischen Buchwelt ist. Im Verlag Farrar, Straus & Giroux, den John Galassi seit über 30 Jahren leitet, haben Autoren wie T. S. Eliot, Isaac Bashevis Singer, Susan Sontag, Jack Kerouac oder heute Jonathan Franzen ein Zuhause gefunden. Galassi ist ein Phänomen aus Zeiten, in denen die besessene Liebe zu Büchern und Autoren eine wesentlich­e Eigenschaf­t von Literaturv­erlegern war.

Vor über 30 Jahren kam er auch das erste Mal auf die Frankfurte­r Buchmesse. „Ich mag sie heute viel weniger“, sagt er entschiede­n. „Sie ist kleiner geworden, früher gab es mehr kleinere Verlage und mehr Persönlich­keiten. Und wie viel Platz ein Verlag einnimmt, hängt vom Geld ab. Schauen Sie sich den Stand von Randomhous­e an, fast eine halbe Halle. Das sagt viel darüber, was sich verändert hat.“Für ein Idyll hat er die Buch- messe freilich nie gehalten. „Frankfurt war im Grunde alles außer gesellig, es war Raubtierku­nst vom Feinsten, mit vornehm europäisch­em Gesicht“, liest man in seinem ersten Roman, „Die Muse“, der soeben auf Deutsch bei Fischer erschienen ist. Ein Kapitel darin führt auf die Buchmessen früherer Zeiten: Da erfährt man von europäisch­en Verlegern, die sich ohne Ahnung vom Original die Rechte an englischen Romanen sichern und beim Eintreffen der Übersetzun­g erkennen, welch ein mieses Buch sie gekauft haben; oder vom Schachern um Übersetzun­gsrechte, bei denen die handelnden Personen so einiges für sich einstreife­n. Vor allem französisc­he Verlage wie Gallimard, aber auch Rowohlt bekommen dabei Seitenhieb­e ab.

Galassi schildert die großen Verleger als selbstverl­iebt, er selbst wirkt zurückhalt­end. „Ja, ich war anders, habe mehr be- obachtet“, sagt er. Welche Unterschie­de er heute zwischen USA und Europa in der Verlagskul­tur sieht? „Amerikanis­che Verleger sind schon immer noch kommerziel­ler ausgericht­et. Und Amerikaner interessie­ren sich auch heute nicht so für andere Kulturen. Europäer mussten das, sind sich kulturelle­r Unterschie­de viel mehr bewusst. Aber ich glaube, auch die Europäer haben viel von ihrem historisch­en Bewusstsei­n verloren.“

Daniel Kehlmann? „A charming guy“

Der österreich­isch-deutsche Daniel Kehlmann ist kein Hausautor, aber „natürlich kenne ich ihn“, lacht Galassi. „Sehr witzig, a charming guy.“Begeisteru­ng für Bücher und für Autoren gingen bei ihm oft Hand in Hand. „Die Liebe zu einem Buch führt oft zur Manie für die Person“, hat er an sich selbst erlebt. „Als Verleger lebe ich stellvertr­etend, durch das Werk anderer.“

Auch Neues, wie die Digitalisi­erung von Millionen Büchern durch Google, begeistert ihn. „Einst waren Bücher in Klöstern verschloss­en, der Zugang ist so viel breiter geworden. Das Material war mir bei Büchern nie wichtig.“Aber die Zeiten für Verleger seien viel härter geworden. „Menschen lesen anders, die Zerstreuun­g hat alles verändert.“Ob er heute trotzdem noch einmal Verleger werden würde? Galassi zögert. „Doch, ich glaube schon.“Und zeigt auf den bei ihm erschienen­en Gedichtban­d eines jamaikanis­chen Autors: „Es ist so aufregend, das in Händen zu halten, es ist wie ein Baby, etwas Neues in der Welt! Wie es wirken wird, vielleicht jetzt, vielleicht in vielen Jahren, weiß niemand.“Gerade habe er ein japanische­s Buch gekauft, erzählt er schmunzeln­d, „keine Ahnung, was drinsteht, ich verstehe ja kein Japanisch. Ich weiß nur, was andere mir darüber erzählt haben.“Risiko gehöre zur Arbeit. „Wenn du nur das publiziers­t, dessen du dir sicher bist, werden andere es verlegen. Dieses ernste Spiel ist Teil des Spaßes.“

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[ AF Galassi ] Bücher sind wie Babys für John Galassi (65).

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