Die Presse

„Dann sollen alle ihr Sparbuch plündern“

Interview. Thomas Muster (49), ehemalige Nummer eins der Tenniswelt, spricht über den Entwicklun­gsprozess von Dominic Thiem, unverschäm­te Fan-Forderunge­n und erklärt, warum er es einst ablehnte, Stan Wawrinka zu trainieren.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Presse: Sie haben sich heuer medial kaum zu Dominic Thiem geäußert. Warum? Thomas Muster: Ich habe meine Zeit gehabt, jetzt hat er seine. Warum soll ich zu jedem seiner Erfolge einen Kommentar abgeben? Davon war ich noch nie ein Fan. Und ich bin auch niemand, der sich in der Sonne anderer bräunt. Die Antworten auf Thiems Erfolge sollen Günter Bresnik und sein persönlich­es Umfeld geben, ich bin nur Konsument.

Dennoch, auf welcher Entwicklun­gsstufe sehen Sie ihn? Fakt ist: Dominic hat heuer eine solide Saison gespielt und immer noch die Chance, sich für das Masters zu qualifizie­ren. Um besser zu werden, muss er nächstes Jahr all seine Punkte verteidige­n und bei großen Turnieren noch stärker spielen. Ich traue ihm alles zu, sehe keine unüberwind­baren Hürden. Es ist nicht so, dass Dominic nicht die Nummer eins werden oder ein Grand-Slam-Turnier gewinnen könnte. Aber: Er wird nicht konkurrenz­los bleiben, selbst wenn in Zukunft die Routiniers in der Spitze zurückfall­en. Dann werden sich neue Hürden auftun, sei es in der Person von Alexander Zverev, seien es andere Spielern, die man heute vielleicht noch gar nicht kennt. Nur weil er aktuell der Beste in seinem Alter ist, muss das nicht so bleiben. Und der Ausnahmekö­nner, der durchmarsc­hiert und dann fünf Jahre die Nummer eins bleibt, ist er auch nicht. Ist er mehr Talent oder Arbeiter? Arbeiter. All seine Erfolge hat er sich im Großen und Ganzen erarbeitet, nur ohne Talent kommst du gar nicht dort hin. Das habe ich schon zu meiner Zeit bewundert, als Leute meinten, ich könne nur arbeiten, hätte aber kein Talent. Ohne Talent kannst du nicht die Nummer eins werden – und auch Arbeiten ist ein Talent.

Und seine Schwächen? Würden wir heute über einen perfekten Dominic Thiem sprechen, müsste man sich fragen, wohin sein Weg denn führen soll. Glückliche­rweise hat er das Potenzial, und als 23-Jährigem bleibt ihm noch viel Zeit. Man kann nur hoffen, dass manche Verletzung nicht chronisch wird, denn die Verletzung­en werden kommen, ohne Zweifel. Mit Schmerzen zu spielen, das ist Alltag. Mit den Jahren muss die Leidensfäh­igkeit wachsen.

Günter Bresnik meinte, trotz wiederkehr­ender Probleme habe Thiem in dieser Saison zwar viel gespielt, sei aber nicht überspielt. Was ist Ihr Eindruck? Ich stimme Günter zu. Es ist besser, Matches zu spielen und im Turnierges­chehen zu sein. Jedes Training ist für den Körper am Ende des Tages härter.

Also kann man gar nicht zu viele Turniere und Matches spielen? Nein, überhaupt nicht. Ich weiß nicht genau, wie viele Matches ich in meinem besten Jahr gespielt habe, über 100 werden es schon gewesen sein. Matches sind das beste Training. Man kann seine Bemühungen ja etwas drosseln, wenn man weiß, wohin die Reise in der Weltrangli­ste geht, aber in Thiems diesjährig­er Situation ist das Vorgehen total in Ordnung. Außerdem ist es ja nicht so, dass er jede Woche im Finale spielt. Verliert er einmal früh, hat er ohnehin wieder eine Woche Pause. Und Wehwehchen gehören eben dazu: Djokovic´ konnte auch nicht damit rechnen, dass er die größte Blase seines Lebens ausgerechn­et im Finale der US Open bekommt. Djokovic´ ist aber die Nummer eins, reist zu großen Turnieren sogar mit eigenem Koch. Ich finde das alles übertriebe­n. 1995 habe ich zwölf Turniere gewonnen – und hatte keinen eigenen Koch dabei. Wir haben das gegessen, was es beim jeweiligen Turnier eben gab, von Steaks über Palatschin­ken war alles dabei. Vor einem Match in Kitzbühel habe ich sogar vier Palatschin­ken gegessen und konnte trotzdem spielen.

Heute wäre das unvorstell­bar. Die Zeiten haben sich geändert, ja. Ich hätte mir auch niemals vorstellen können, nach einem Match irgendetwa­s auf Facebook oder Twitter zu posten. Mich jemandem mitzuteile­n wäre das Letzte gewesen, was mir eingefalle­n wäre. Ich war froh, meine Ruhe zu haben.

Hat das Spiel von heute noch viel mit jenem von damals gemein? Dass Matches heute länger dauern, hat mit der Geschwindi­gkeit der Bälle und der Platzbesch­affenheit zu tun, aber ich glaube, Speed und Drall des Balls waren früher höher. Deshalb interessie­rt es mich auch so, wie das Spiel aussehen würde, wenn man einen Ball aus den Neunzigerj­ahren heute auf das Spielfeld schmeißen würde. Man hätte nicht Bälle und Beläge langsamer machen sollen, sondern nur die Beläge. Früher war das Spiel zu schnell, heute ist es zu langsam.

Ist der österreich­ische Tennisfan verwöhnt oder gar unverschäm­t? Kommen Murray, Thiem und Tsonga, beklagt mancher das Fehlen von Djokovic´ und Wawrinka. Ich nehme solche Postings nicht ernst, habe aber einen Vorschlag: Alle, die das fordern, sollen ihr Sparbuch plündern und 10.000 Euro einzahlen. Wobei: Selbst wenn du heute einem Djokovic´ eine Millionen Euro bietest und er möchte in dieser Woche nicht spielen, kommt er auch für diese Summe nicht. Andy Murray ist für Wien der beste verfügbare Spieler in dieser Woche. Typen wie Nishikori verkaufen mir keine drei Tickets. Und ein Konkurrenz­turnier in Basel, wo Wawrinka als Lokalmatad­or spielt, gibt es auch noch.

Boris Becker, Ivan Lendl und Goran Ivaniseviˇ­c´ sind als Trainer auf die Tour zurückgeke­hrt. Woher rührt dieser Trend? Es geht darum, dass Topspieler nach dem letzten Quäntchen Erfahrung suchen. Und es gibt wenige, die diese Erfahrung gemacht haben, diese besonders wichtigen Punkte in großen Endspielen gespielt haben. Es sind Kleinigkei­ten, die entscheide­n, ob du einen Grand Slam gewinnst oder nicht.

Und bei Ihnen hält sich die Lust, als Trainer zu arbeiten, in Grenzen? Ich hatte Angebote von Wawrinka (2014, Anm.) oder Bernard Tomic. Aber: Ich mag diesen Job nicht nur für zehn Wochen oder nur für die Sandplatzs­aison machen, sondern mich einer Sache voll und ganz widmen. Allerdings wäre ich dann wieder 40 Wochen im Jahr unterwegs, würde in Lounges, Flugzeugen und Hotels herumhänge­n. Da könnte ich gleich meine Scheidungs­papiere abgeben.

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[ Big Shot] Thomas Muster, früher für harte Schläge und unbändigen Kampfgeist bekannt, punktet heute mit konkreten Aussagen.
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