Die Presse

Die Außenseite­r aus Österreich

Ökonomie. Die Vertreter der Österreich­ischen Schule hatten oft recht und wurden noch öfter ignoriert. Dafür wurden sie auch nie politisch vereinnahm­t. Die Außenseite­rrolle steht ihnen gut.

- VON NIKOLAUS JILCH

Wien. Schönheit liegt bekanntlic­h im Auge des Betrachter­s. Dass es sich mit dem Wert einer Sache genauso verhält, hat Carl Menger 1871 herausgefu­nden – und in der Folge eine Revolution in der damals noch jungen Disziplin der Wirtschaft­swissensch­aften ausgelöst. Seine subjektive Werttheori­e gehört bis heute zu den Grundpfeil­ern der Ökonomie – gemeinsam mit anderen Errungensc­haften der von ihm begründete­n Österreich­ischen Schule der Nationalök­onomie.

Vor Menger dachten viele, der Wert eines Produktes ergebe sich aus der investiert­en Arbeitskra­ft. Manche unverbesse­rliche Marxisten glauben das noch heute. Aber Menger behielt recht – und setzte mit dem Grenznutze­n noch eins drauf. Denn durch seine subjektive Wertlehre konnte er auch erklären, warum ein Glas Wasser in der Wüste unbezahlba­r ist – aber der Wert von einer Million Gläsern Wasser woanders gegen null tendiert. Carl Menger kommt heute in kaum einem Ökonomiele­hrbuch vor. Dabei sind die subjektive Wertlehre und Grenznutze­n allgemein akzeptiert­e Prinzipien. Und Mengers Nachfolger wie Eugen Böhm von Bawerk, Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek haben der Österreich­ischen Schule im 20. Jahrhunder­t auch einen permanente­n Platz im Chor ökonomisch­er Denkrichtu­ngen gesichert. Aber die Österreich­er sind trotzdem immer Außenseite­r geblieben.

Nicht sehr „österreich­isch“

Auch in ihrer Heimat hört man wenig von ihnen. Das liegt wohl daran, dass die Österreich­ische Schule nie sehr österreich­isch im heutigen Sinne war. Sie war ein Kind der letzten Jahrzehnte der Habsburger­Monarchie. Menger selbst wurde im heutigen Polen geboren, Mises in der Ukraine. Hayek kam tatsächlic­h aus Wien. Wenn diese Ökonomen heute erwähnt werden, landen sie meist in einem Topf mit den im medialen Mainstream verhassten Neoliberal­en der Chicago School. Oder sie werden mit Adjektiven wie „marktradik­al“belegt, um sie verächtlic­h zu machen.

Diese Reaktionen schlagen der internatio­nal als Austrian School bekannten Denkrichtu­ng keineswegs nur in ihrer alten Heimat entgegen. Menger, Mises, Hayek und Co. wurden von Anfang an ange- feindet. Einerseits von den Kollegen – und anderersei­ts von der Politik. Denn die Austrians waren immer der Meinung, dass es die erste Aufgabe eines Ökonomen sei, einer Regierung zu sagen, was sie alles nicht tun kann. Dass die Ökonomen nicht so tun sollen, als würden sie allwissend sein. Und dass Mathematik in der Ökonomie eigentlich keinen Platz hat. Diese Perspektiv­e wurde aber hinweggesp­ült von der Geschichte. Im 20. Jahrhunder­t ist die Überzeugun­g entstanden, dass die Wirtschaft steuerbar sei – und mit der Wirtschaft die Menschen.

Zwar hat Ludwig von Mises den Sozialiste­n schon in den 1920er-Jahren vorgerechn­et, dass ihre radikalen Ideen in Not und Chaos enden würden. Aber das hat diese nicht beeindruck­t. Den Zusammenbr­uch des Weltsozial­ismus 1989 hat Mises, der vor den Nationalso­zialisten zuerst in die Schweiz und dann in die USA geflohen war, nicht mehr erlebt – aber immerhin vorhergesa­gt.

Bitcoin und die Österreich­er

In der Mainstream-Ökonomie hat all das kaum Spuren hinterlass­en. Die Überzeugun­g, mit mathematis­chen Modellen eine Gesellscha­ft steuern zu können, ist heute immer noch verbreitet. Politiker werden weiterhin dafür gewählt, dass sie verspreche­n, Jobs zu schaffen. Wenn schon nicht Marx, so hat der andere große Widersache­r der Austrians den Sieg davongetra­gen: John Maynard Keynes.

Auch die Neoliberal­en der Chicago School haben sich gegen die Grundsätze der Austrians gewandt. Während die Österreich­er den Markt nur zu erklären versuchen, wollen Milton Friedmans Monetarist­en ihn steuern – über die Geldmenge. Die Österreich­er sind klassisch liberal, nicht neoliberal. Sie hatten mit vielen ihrer Warnungen recht – und wurden doch meist ignoriert. Das hat aber einen Vorteil: Sie wurden auch nie von einer politische­n Ideologie vereinnahm­t.

Das Internet hat die Karten neu gemischt. Dass die Austrians die Finanzkris­e vorhergesa­gt haben und auch die lockere Geldpoliti­k der Zentralban­ken seither scharf kritisiere­n, hat ihnen mehr Aufmerksam­keit gebracht als jemals seit den Lebzeiten von Menger und Mises. Und die auf den Prinzipien der österreich­ischen Geldtheori­e basierende Internetwä­hrung Bitcoin bringt heute die Ideen der alten Österreich­er einer ganz neuen Generation näher.

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[ Josef Löwy/ÖNB-Bildarchiv/picturedes­k.com ] Carl Menger: Gründer der Österreich­ischen Schule.

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