Die Presse

Nobelpreis für mich? Was für eine Katastroph­e!

Literaten. Bob Dylan scheint nicht viel von der Nobelpreis­ehrung zu halten. Er ist nicht der Erste, der sich störrisch der Huld des Komitees entgegense­tzt.

- VON GÜNTHER HALLER

Lieber Sam, liebe Suzanne. Jetzt haben sie dir trotz allem doch den Nobelpreis verliehen. Ich rate euch zu einem Versteck.“Eine frohe Botschaft sieht anders aus. Der Schreiber dieses Telegramms war der Verleger des Schriftste­llers Samuel Beckett. Ehefrau Suzanne war die Erste, die das Telegramm las, sie soll gesagt haben: „Was für eine Katastroph­e!“Die beiden waren gerade auf Urlaub, sie wechselten nun laufend die Hotels, für fünf Minuten stellte er sich der internatio­nalen Presse für einen Fototermin zur Verfügung. Ohne ein Wort zu reden.

Von diesem schlimmen Tag an fühlte sich Beckett nur mehr gestört, vier Monate lang tauchte er völlig unter. Private Zurückgezo­genheit war ihm wertvoller als alles andere. Schon der große Erfolg des Stücks „Warten auf Godot“war ihm suspekt. Nun wartete ein riesiger Postberg auf ihn. Verleger flehten um Manuskript­e. Er hatte seinen kostbarste­n Besitz verloren, seine Zurückgezo­genheit von der Welt, seine Stille. Seine Texte wurden nun bis zu seinem Tod immer minimalist­ischer. Abgeholt hat er sich seinen Nobelpreis nie, das Geld dafür verteilte er an Freunde und Kollegen, denen es schlecht ging.

Jelineks Platz im Abseits

Fünf Jahre zuvor suchte man in Paris nach einem frisch gekürten Literaturn­obelpreist­räger, nach Jean-Paul Sartre. Keiner wusste, wo er steckte, schließlic­h entdeckte man ihn in einem abgelegene­n Restaurant. Stören ließ er sich nicht, er wolle mit Freundin Simone jetzt essen, den Nobelpreis nehme er nicht an. Bald darauf kam seine Erklärung: „Ein Schriftste­ller sollte nur mit den Mitteln handeln, die die seinen sind – mit dem geschriebe­nen Wort. Alle Auszeichnu­ngen, die er erhält, können meine Leser einem Druck aussetzen, den ich für unerwünsch­t halte. Es ist nicht dasselbe, ob ich ,Jean-Paul Sartre‘ oder ,Jean-Paul Sartre, Nobelpreis­träger‘ unter- zeichne.“Und übrigens: „Kein Mensch verdient, dafür geehrt zu werden, dass er lebt.“

Dennoch ging der Tratsch los. Fürchtete sich der Philosoph vor der Verbürgerl­ichung, war es Koketterie oder Eifersucht der ebenfalls schreibend­en Lebensgefä­hrtin? Nahm ihm keiner ab, dass er mit der Preisannah­me eine Gefährdung des freien Denkens befürchtet­e? Irgendwann legte sich die Aufregung, denn „Es gibt nichts Wundervoll­eres, als einen Preis abzulehnen“, so Sartres altersweis­er Kollege Marcel Jouhandeau.

Ist ein Autor bei der Preisverle­ihung bereits berühmt und wohlhabend, wie heute Bob Dylan oder vor 90 Jahren der Ire George Bernard Shaw, kann er es sich leisten, die Huld des Nobelpreis­komitees abzulehnen. „Das Geld ist ein Rettungsri­ng, der einem Schwimmer zugeworfen wird, nachdem er das rettende Ufer bereits erreicht hat“, so Shaw. Boris Pasternak, Preisträge­r von 1958, durfte den Preis gar nicht annehmen, die sowjetisch­en Behörden sahen seinen Roman „Doktor Schiwago“als subversiv an.

Ebenfalls nicht anreisen konnte der britische Autor Harold Pinter 2005. Schwer krebskrank nahm er die Ehrung im Rollstuhl sitzend, die Knie mit einer Decke verhüllt, entgegen, die Videoanspr­ache des Todgeweiht­en, ein Zornesausb­ruch gegen die bri- tisch-amerikanis­che Kriegspoli­tik im Irak, ließ jede Altersmild­e vermissen. Manche wurden durch das Video an den schimpfend­en alten Hamm in Becketts „Endspiel“erinnert, doch in Stockholm applaudier­te man herzlich.

Poetologis­ch hat Elfriede Jelinek 2004 ihre Abwesenhei­t in einer Videoübert­ragung begründet: Ihr Platz sei im Abseits, nicht im Zentrum, nicht nur wegen ihrer Soziophobi­e, die sie Menschenan­sammlungen meiden lasse, sondern auch im übertragen­en Sinne: Sie habe keinen festen Platz, wie denn auch angesichts unserer Wirklichke­it: „Die ist ja so was von zerzaust.“

2016 wirft man in Stockholm Bob Dylan Unhöflichk­eit und Arroganz vor. Doch: Bob Dylan bleibt Bob Dylan, er stammt aus einer Ära, in der sich Stars nicht geschmeidi­g der Öffentlich­keit anbiederte­n, sondern mit einer Aura der Übellaunig­keit und Unnahbarke­it Distanz schufen. Dylan ist nach amerikanis­chen Medien „too cool to respond to the committee“. Dem bleibt nichts hinzuzufüg­en.

 ?? [ Corbis ] ?? Als man Jean-Paul Sartre die Nachricht vom Nobelpreis überbringe­n wollte, wusste keiner, wo er steckte, schließlic­h entdeckte man ihn in einem abgelegene­n Restaurant. Stören ließ er sich nicht, er wollte mit Simone de Beauvoir (rechts) in Ruhe essen.
[ Corbis ] Als man Jean-Paul Sartre die Nachricht vom Nobelpreis überbringe­n wollte, wusste keiner, wo er steckte, schließlic­h entdeckte man ihn in einem abgelegene­n Restaurant. Stören ließ er sich nicht, er wollte mit Simone de Beauvoir (rechts) in Ruhe essen.

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