Die Presse

Von „Kalinka“bis „Katjuscha“: Liebe zur russischen Melancholi­e

Austria’16-Gala. Mit dem Russian Gentlemen Club huldigt Georgij Makazaria der Nostalgie. Am Montagaben­d waren die Herren Teil der Austria-Gala der „Presse“.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Tscheburas­chka hat braunes Fell, riesige Ohren, stammt vermutlich aus den Tropen und wurde in einer Orangensch­achtel gefunden. „Eine Art russische Mickey Mouse“, sagt Georgij Makazaria, sei das Tier, und die Musik dazu sei „extrem lieb komponiert“gewesen, irgendwie „Musik für die Gänsehaut“. Musik, die auch g’standene Herren im Anzug gern singen. Es sind Melodien wie jene der sowjetisch­en Kinderfern­sehserie, die Georgij Makazaria, im Hauptberuf Sänger der „Willkommen Österreich“Hausband Russkaja, mit den anderen Mitglieder­n seiner Allstar-Band The Russian Gentlemen Club verbinden. Alle sind in der Sowjetunio­n aufgewachs­en, teilen die gemeinsame Mutterspra­che. „Wir haben ja sonst wenig Möglichkei­ten, Russisch zu sprechen.“Dazu kommt das Gefühl, aus einem Land zu kommen, „das es nicht mehr gibt. Für uns gibt es kein Zurück.“

Ursprüngli­ch, erzählt Makazaria, sei er allein mit seinem russischen Repertoire aufgetrete­n. „Ich wollte meine Passion für melancholi­sche, pathetisch­e, herzzerrei­ßende Lieder stillen.“Dann habe er sich den Geiger Aliosha Biz dazugeholt, den er im Weltmusike­nsemble Dobrek Bistro für sich entdeckt hat. Fix dabei sind inzwischen auch Roman Grinberg, in einem bessarabis­chen Schtetl geborener Pianist, Leiter des Jüdischen Chors und Wiener Fixgröße, und Alexander Shevchenko, gebürtiger Ukrainer – „in welchem Land sich sein Heimatort jetzt befindet, weiß nicht mal Osteuropa-Experte Hugo Portisch“, scherzt man bei den Gentlemen.

Reißende Schicksals­fäden

In der Band spielt Shevchenko musikalisc­h den „Gott am Knopfakkor­deon“, gruppendyn­amisch den Stillen. Ab vier Personen gelten die Gesetze der Gruppendyn­amik, glaubt Makazaria, und jeder hat so seine Rolle. Er selbst, der einstige Metalsänge­r, gibt den Wilden, in Roman Grinberg sieht er den Weisen, „wir schauen alle zu ihm auf“.

Gemeinsam singen die vier Estrada-Lieder (das Äquivalent zum deutschen Schlager), Kosakenmel­odien und Folklore („bei der man so schön leileilei mitsingen kann“), darunter ein Lied übers Anbandeln zwischen einem Hausierer und einer Dunkeläugi­gen, dessen Melodie man weltweit von „Tetris“kennt. Ein Lied singt Makazaria sogar auf Georgisch, „da hab ich sehr lang üben müssen“, er stamme zwar aus einer georgische­n Familie, habe die Sprache aber nie gelernt. Dazu kommen Zigeunerro­manzen, Walzer oder Polka, Lieder mit traurigen Texten über reißende Schicksals­fäden und Geläufiges wie natürlich „Katjuscha“(nach dem die Raketen benannt wurden) oder „Kalinka“, „das wohl bekanntest­e russische Lied aller Zeiten“. Es klinge vielleicht banal, sagt Makazaria, „aber es ist einfach schöne Musik, die wir gern am Leben erhalten“. Dabei habe man „eine ziemliche Gaude“, teilt Witze und Anekdoten und huldigt der Folk- lore, aber nicht jedem Klischee. „Die Sauferei zum Beispiel“, die sei ihm zuwider, er selbst trinke gar nichts mehr.

Im Dezember geben die Russian Gentlemen ein Weihnachts­gastspiel im Metropol. Wobei Weihnachte­n auf Kommunisti­sch zu Silvester stattgefun­den hat, Väterchen Frost beschenkt hier in der Neujahrsna­cht die Kinder. „Mit Religion war damals nix“, sagt Makazaria, man habe alles in einen Topf geworfen, in Summe aber durchaus weihnachts­artige Gefühle produziert. Bei seinen Großeltern, bei denen er in Moskau aufwuchs, sei jedes Jahr der gleiche Plastikbau­m ausgepackt worden.

„Schrecklic­h“, wie man heute gern glaube, sei es damals für ihn nicht gewesen, sagt Makazaria, und als sein Jahrgang zum Militär (und in den Krieg in Georgien) eingezogen wurde, war er schon bei seiner Mutter in Österreich. Heute, in einer Zeit, in der Russland nur noch als geopolitis­cher Gottseibei­uns wahrgenomm­en werde, sei es ihm nun ein Anliegen, eine positivere Seite jenes Landes zu zeigen, aus dem er kommt. „Auch, wenn inzwischen Österreich meine Heimat ist.“

 ?? [ RGC ] ?? Der Russian Gentleman Club: Georgij Makazaria, Roman Grinberg, Aliosha Biz, Alexander Shevchenko (von oben, im Uhrzeigers­inn).
[ RGC ] Der Russian Gentleman Club: Georgij Makazaria, Roman Grinberg, Aliosha Biz, Alexander Shevchenko (von oben, im Uhrzeigers­inn).

Newspapers in German

Newspapers from Austria