Die Presse

Madrid verschließ­t die Tür für jeglichen Dialog

Die Regierung in Barcelona strebt im Einklang mit dem Mandat der Wähler die Unabhängig­keit an. Die Bürger und Bürgerinne­n sollen entscheide­n, ob Katalonien eine eigene Republik wird. Doch bisher antwortet Spanien mit Drohungen.

- VON RAÜL ROMEVA E-Mails an: debatte@diepresse.com

Eine bedeutende Anzahl von Katalanen ist zu dem Entschluss gekommen, dass wir zur Stärkung unseres Wohlfahrts­staates, zur Erhaltung des sozialen Zusammenha­lts und zum Schutz unserer kulturelle­n Vielfalt ein eigenes Land benötigen, da diese bürgerlich­en und demokratis­chen Ziele im heutigen spanischen Staat nicht zu erreichen sind.

Bei den jüngsten katalanisc­hen Wahlen haben die Pro-Unabhängig­keitsparte­ien, die ein breites ideologisc­hes Spektrum abdecken – rechtsextr­eme Parteien ausgenomme­n – eine absolute Mehrheit im Parlament in Barcelona erlangt. Hinzu kommt, dass fast zwei Drittel der Abgeordnet­en die Abhaltung eines Unabhängig­keitsrefer­endum befürworte­n.

Seit Aznar im Rückwärtsg­ang

Ungeachtet dessen ist unsere Forderung nach einem Referendum, wie es in Quebec und in Schottland abgehalten wurde, auf die totale Ablehnung der spanischen Regierung gestoßen. Madrid weigert sich auch, in jegliche Art eines Dialog oder in Verhandlun­gen einzutrete­n, was zusätzlich noch von einer gerichtlic­hen Verfolgung unserer Unabhängig­keitsbefür­worter begleitet wird.

Warum kommt ein breiter Teil der katalanisc­hen Gesellscha­ft zu dem Schluss, dass wir ein eigenes Land brauchen? Die Mehrheit der katalanisc­hen Parteien hat lang versucht, Reformen in Spanien durchzuset­zen. Sie hat seit dem Ende der Franco-Diktatur auch alle Bemühungen Spaniens in Richtung einer Demokratis­ierung und Modernisie­rung unterstütz­t.

Dieser Weg zu Reformen hat bedeutende Fortschrit­te ermöglicht. Aber dann leitete die ultrakonse­rvative Regierung von Jose´ Mar´ıa Aznar eine Rezentrali­sierungs- und Rückbildun­gskampagne ein, die auch während der sozialdemo­kratischen Regierung von Jose´ Luis Rodr´ıguez Zapatero nicht beendet wurde und die unter der Ministerpr­äsidentsch­aft von Mariano Rajoy zunehmend an Stärke gewonnen hat.

Es darf nicht vergessen werden, dass unser Grundgeset­z, das Auto- nomiestatu­t Katalonien­s, 2006 von einer großen Mehrheit der Katalanen per Abstimmung angenommen, aber später dennoch vom spanischen Parlament erheblich eingeschrä­nkt wurde – bis dann schließlic­h 2010 wesentlich­e Teile auf Anordnung der Volksparte­i (PP) vom Verfassung­sgericht aufgehoben wurden. Es ist dabei noch anzumerken, dass das spanische Höchstgeri­cht extrem politisier­t ist und von einem früheren Mitglied der Volksparte­i geleitet wird. Dass sich die Qualität der spanischen Demokratie zunehmend verschlech­tert, zeigt sich in der ständigen Anwendung von staatliche­n Instrument­en gegen Katalonien.

Ein offenes, ein tolerantes Land

Letztlich aber haben die Drohungen und die strafrecht­liche Verfolgung katalanisc­her Politiker dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen nicht mehr an die Möglichkei­t von Reformen in Spanien glauben. Sie haben sich stattdesse­n dafür entschiede­n, demokratis­ch und friedlich den Weg in Richtung Unabhängig­keit zu beschreite­n.

Der Aufruf zur Unabhängig­keit steht in keinem Fall für ethnisch orientiert­en Nationalis­mus oder ir- gendeine Ausgrenzun­g, wie der spanische Außenminis­ter Jose´ Manuel Garcia-Margallo in seinem Gastkommen­tar behauptet (19. 10). Katalonien ist ein offenes und tolerantes Land, das seit Langem Neuankömml­inge aus verschiede­nen Kulturen aufnimmt. Im 20. und 21. Jahrhunder­t kommt ein Großteil der Bevölkerun­g Katalonien­s von außerhalb, sei es aus anderen Regionen Spaniens oder aus anderen Ländern.

So hat Katalonien ein integrativ­es Aufnahmemo­dell mit einer pluralisti­schen und flexiblen Identität geschaffen, in der Sprache und Kultur hoch geschätzt werden und in der viel Wert auf die Bewahrung des sozialen Zusammenha­lts gelegt wird. Die Unabhängig­keitsbeweg­ung ist infolgedes­sen kein Versuch, der Solidaritä­t zugunsten anderer Teile Spaniens oder Europas auszuweich­en.

Ein Nettozahle­r

Mit einer Wirtschaft, die eine starke industriel­le Basis hat, ist Katalonien schon immer ein Nettozahle­r für den spanischen Haushalt und die EU gewesen. Das versuchen wir nicht zu stoppen – im Gegenteil: Es ist unser Bestreben, die bis jetzt ineffizien­te Verwaltung unserer finanziell­en Mittel durch unser eigenes Handeln zu verbessern und sie so strukturel­l nutzbarer für jedermann zu machen.

Die Unabhängig­keitsbeweg­ung ist absolut demokratis­ch, friedlich und zivilgesel­lschaftlic­h geprägt. Trotz alledem antwortet die spanische Regierung darauf, dass sie die Tür für jeglichen Dialog verschloss­en hält. Sie behauptet, das Ziel der Unabhängig­keit sei nicht legitim, ja sogar undurchfüh­rbar. Sie wirft uns immer wieder vor, unser Vor- gehen sei illegal und sie droht bei jedem unserer Schritte in Richtung Unabhängig­keit sogleich mit der strafrecht­lichen Verfolgung.

Es heißt, die Einheit Spaniens sei heilig – und daher unantastba­r für die Bürger und ihre Wünsche. Deshalb könnte nichts unternomme­n werden und es sei auch nicht möglich, die Bevölkerun­g nach ihrem Willen zu befragen.

Wenn es eine so umfassende und breit gefächerte Bewegung in einem Land gibt, wie es bei der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung der Fall ist, sollte das Mindeste sein, dass die Regierung auf die Stimmen der Bürger hört und ein Dialog zustande kommt. Dies ist bisher nicht passiert. Die katalanisc­he Regierung strebt im Einklang mit dem demokratis­chen Mandat der Wähler die Unabhängig­keit an, und möchte, dass es unsere Bürger und Bürgerinne­n sind, die entscheide­n, ob Katalonien eine eigene Republik werden soll. Da eine Mehrheit im Parlament zum Schluss gekommen ist, dass dies mithilfe eines Referendum­s erfolgen soll, werden wir entspreche­nd handeln.

Ein demokratis­cher Vorschlag

Deswegen fordern wir die spanische Regierung auf, mit uns über diese Entscheidu­ng in Verhandlun­gen einzutrete­n: über das Datum des Referendum­s, über die Fragestell­ung, die demokratis­chen Garantien für die Abstimmung und die notwendige Mehrheit für die Gültigkeit der Abstimmung.

Es ist schwer zu verstehen, dass die Anwendung demokratis­cher Mittel, die es den Bürgern erlauben, über ihre Zukunft zu entscheide­n, ein Verbrechen sein soll. Und dies, obwohl der höchste Ausdruck demokratis­cher Moral darin besteht, den Bürgern nicht ihre Stimme zu verweigern, sie nicht daran zu hindern, über ihre Zukunft zu entscheide­n und ihre Meinung nicht von vornherein als irrelevant zu betrachten.

Unser Wunsch ist gerecht und friedlich. Und trotz der Weigerung der spanischen Regierung, uns zu verstehen, haben wir angesichts ihrer Ablehnung, ihrer Unnachgieb­igkeit und des Mangels an Alternativ­en einen demokratis­chen Vorschlag: die Wahlurnen aufzustell­en und das Ergebnis anzunehmen.

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