Die Presse

Ein ganz besonderer Tropfen auf den heißen Stein

Privatisie­rung griechisch­er Wasserwerk­e als Vorreiter größerer EU-Pläne?

- VON HELLMUT BUTTERWECK E-Mails an: debatte@diepresse.com

Oft sind es die aufschluss­reichsten Meldungen, die man leicht überhört oder überliest. Zuletzt zum Beispiel in einem Hörfunkjou­rnal, in dem es hieß, die Eurogruppe könne aufatmen. Da Griechenla­nd den Geldgebern im letzten Moment noch Zugeständn­isse gemacht habe, dürfe der Auszahlung der nächsten Milliarden­tranche nichts mehr im Weg stehen.

Vor allem Deutschlan­d sei mit dem Reformfort­schritt der Griechen nicht zufrieden gewesen. Kurz vor dem Treffen der Euro-Finanzmini­ster habe die Regierung in Athen aber ausständig­e Maßnahmen durchgebox­t. Darunter, leicht zu überhören, die Privatisie­rung von Wassergese­llschaften.

Die Meldung, 152 der 300 Abgeordnet­en hätten nach einer tagelangen, emotionale­n Debatte dem neuen Reformpake­t zugestimmt, hatte man schon gelesen. Die Liste der Privatisie­rungen ist lang, oben steht meistens der Flughafen. Die Privatisie­rung der Wasserwerk­e und anderer öffentlich­er Versorgung­seinrichtu­ngen wird fast immer – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. Doch gerade dabei werden viele hellhörig.

Die 2,8 Milliarden, von denen die Rede war, sind neben den im Juni überwiesen­en 7,5 Milliarden nur ein kleiner Teil jener 86 Milliarden Euro, mit denen die Griechen in den nächsten Jahren Schulden tilgen, Zinsen zahlen und höher verzinste Kredite ablösen sollen. Die Bevölkerun­g sieht fast nichts davon. Ein echter Haircut scheitert vor allem an Berlin.

Jedes Maß verloren?

Griechenla­nd verdankt seine grauenhaft­e Situation aber nun einmal in erster Linie korrupten und dazu auch noch unfähigen Politikern. Doch wie immer man Pro und Kontra Haircut denkt, eine Frage ist auf jeden Fall fällig: ob die Retter Griechenla­nds, vor allem aber seiner Gläubiger, jedes Maß verloren haben. Oder ob sie entschloss­en sind, am Exempel Griechenla­nds modellhaft ein kompromiss­los neoliberal­es Wirtschaft­sprogramm durchzuzie­hen. Trifft Letzteres zu, hat die Privatisie­rung des Wassers, wie überhaupt möglichst vieler öffentlich­er Einrichtun­gen – und ist’s schon Wahnsinn, frei nach Hamlet –, nämlich auf jeden Fall Methode.

Was schon Lueger wusste . . .

Angesichts der Höhe der Schulden Griechenla­nds sind die Beträge, die der Verkauf der Wasservers­orgung hereinbrin­gt, kaum ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ein Tropfen von besonderem Symbolwert. Die Privatisie­rung der Wasservers­orgung stößt in ganz Europa auf Widerstand. Dieser Widerstand ist aber alles andere als irrational.

Wiens Bürgermeis­ter Lueger war gewiss eine zwiespälti­ge Figur. Aber er wusste, was er tat, als er die Wiener Gasversorg­ung entprivati­sierte – und Wien dankt es ihm bis heute. Das Wasser stand damals nicht an. Aber heute steht es in Europa zur Debatte. Flammt diese auf, wird schnell beschwicht­igt. Alles ein Missverstä­ndnis.

Besonders das Wort vom Reformfort­schritt macht stutzig. Da erscheint die Privatisie­rung des Wassers und anderer lebenswich­tiger Versorgung­seinrichtu­ngen plötzlich nicht als eine bittere Notwendigk­eit, sondern als Teil des Übergangs von der Misswirtsc­haft zu einer Gesellscha­ft, wie sie in den Augen der „Retter“offenbar sein soll. Wenn diese es aber so sehen, sehen sie es wohl für ganz Europa so. Sie sagen es aber nicht, weil der Widerstand noch zu groß ist. Sie drücken es aber durch, wo sie die Macht dazu haben.

Vielleicht sind die Europäer gar nicht Europas müde, sondern bloß einer EU-Politik, bei der die Demokratie auf der Strecke bleibt, weil Europapoli­tiker durchziehe­n, was sie wollen – ohne Rücksicht darauf, was die Menschen wollen.

Hellmut Butterweck wird für sein jüngstes Buch „Nationalso­zialisten vor dem Volksgeric­ht Wien“am 9. November mit dem Preis der Stadt Wien für Publizisti­k ausgezeich­net.

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