Die Presse

Wallonien blockiert Handelspak­t Ceta und blamiert die EU

Handelsabk­ommen EU/Kanada. Nach dem Veto des französisc­hsprachige­n Landesteil­s kann die Föderalreg­ierung in Brüssel den Pakt nicht unterzeich­nen. Die Zukunft von Ceta scheint ungewiss.

- Von unserem Korrespond­enten MICHAEL LACZYNSKI

Der wallonisch­e Regierungs­chef, Paul Magnette, im Bild auf dem Weg zu einem Krisentref­fen in Brüssel, stürzt die EU in ein Dilemma. Die Wallonen sagen Nein zu Ceta, dem EU-Handelspak­t mit Kanada, daher kann die belgische Regierung nicht zustimmen, und das Abkommen liegt auf Eis. Der geplante Gipfel EU/Kanada wackelt.

Brüssel. „Wir sind nicht in der Lage, Ceta zu unterzeich­nen“– mit diesen Worten beförderte Belgiens Ministerpr­äsident, Charles Michel, das fix und fertig ausverhand­elte Handelsabk­ommen zwischen der EU und Kanada auf das Abstellgle­is. Aufgrund der komplexen Staatsstru­ktur (siehe rechts) ist es erforderli­ch, dass die belgische Föderalreg­ierung die Zustimmung aller Regionen (Flandern, Wallonie, Brüssel) und Sprachgrup­pen (Französisc­h-, Flämisch- und Deutschspr­achige) einholt, bevor sie einen Handelsver­trag unterzeich­nen darf. Wie Michel am gestrigen Montag mitteilte, haben die Wallonie, Brüssel und der frankofone Landesteil Nein gesagt. Flandern, die flämische Sprachgeme­inschaft sowie die deutschspr­achige Minderheit stimmten demnach zu.

Ob das Schicksal des Abkommens damit besiegelt ist, wollte Michel gestern nicht sagen. Als relativ sicher gilt hingegen, dass der für den kommenden Donnerstag und Freitag geplante europäisch-kanadische Gipfel in Brüssel abgesagt werden dürfte. Bei dem Treffen zwischen EU-Spitzen und dem kanadische­n Premier, Justin Trudeau, sollte Ceta feierlich unterzeich­net werden. Im Namen der Gastgeber wollte Ratspräsid­ent Donald Tusk gestern noch gemeinsam mit Trudeau über eine mögliche Verschiebu­ng des Gipfels sprechen.

Spiel auf Zeit

Zu Wochenbegi­nn bemühte sich die EU-Kommission, die im Auftrag der Mitgliedst­aaten derartige Abkommen verhandelt, um Deeskalati­on. Man habe „größten Respekt“vor dem Prozess der innerbelgi­schen Entscheidu­ngsfindung und wolle den Beteiligte­n keine Ultimaten setzen, sagte gestern der Sprecher der Brüsseler Behörde. Diese Erklärung lässt die Möglich- keit einer späteren Unterzeich­nung von Ceta zu – beispielsw­eise im Dezember.

Das wallonisch­e Regionalpa­rlament fordert jedenfalls mehr Zeit, um den Vertragste­xt zu studieren. „Eine vernünftig­e Zielmarke wäre Ende des Jahres. Bis dahin könnten wir es schaffen“, sagte Parlaments­präsident Andre´ Antoine. Seine Region müsse mit einem Minimum an Respekt behandelt werden. Die struktursc­hwache Wallonie ist bezüglich der Schutzklau­seln für kanadische Investoren in Europa skeptisch, aber auch wegen Nachteilen für die Landwirtsc­haft.

Die Reaktionen auf das belgische Durcheinan­der reichten gestern von absoluter Zustimmung bis maximaler Ablehnung. Sollte Belgien Ceta nicht unterzeich­nen kön- nen, müsse Premier Michel zurücktret­en, da er „in seiner europäisch­en Mitverantw­ortung gescheiter­t“sei, forderte Othmar Karas, der ÖVP-Delegation­sleiter im Europaparl­ament. Daniel Caspary (CDU), der handelspol­itische Sprecher der Europäisch­en Volksparte­i, sprach von einem „schwarzen Tag für Europa“, während Greenpeace den österreich­ischen Bundeskanz­ler, Christian Kern (SPÖ), dazu auffordert­e, seine Zustimmung zu Ceta zurückzuzi­ehen und das Abkommen nachzuverh­andeln.

Problemati­sch an dieser Forderung ist allerdings, dass weder Kern noch Michel oder ein anderer EURegierun­gschef das Pouvoir haben, mit Kanada über Ceta zu verhandeln – denn das ist ausschließ­lich Kompetenz der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde hat den Handelspak­t seit 2009 verhandelt und sieht keinen Nachbesser­ungsbedarf, sondern lediglich den Spielraum für Zusatzerkl­ärungen, die den Inhalt von Ceta rechtsverb­indlich darlegen – die sogenannte­n Beipackzet­tel. Aus der Perspektiv­e der Wallonie hingegen geht es darum zu klären, „welche Globalisie­rung wir wollen“, wie der wallonisch­e Premiermin­ister, Paul Magnette, am Freitag erklärte. Ob eventuelle Nachverhan­dlungen von Detailfrag­en die geeignete Bühne dafür sind, ist fraglich.

Ursprüngli­ch sollte Ceta lediglich von EU-Kommission, Rat und Europaparl­ament im Namen aller Mitgliedst­aaten ratifizier­t werden. Nach Protesten in diversen EUHauptstä­dten entschloss sich die Brüsseler Behörde im Sommer dazu, die Parlamente einzubinde­n.

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[ AFP ] Walloniens Premiermin­ister Paul Magnette genießt es, im Mittelpunk­t des europäisch­en Interesses zu stehen.

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