Die Presse

Italien geht turbulente­n Zeiten entgegen

Votum am Sonntag. Mögliche Szenarien, wie es nach dem Verfassung­sreferendu­m mit der drittgrößt­en Euro-Volkswirts­chaft sowie ihrem Premier, Matteo Renzi, weitergeht – und was diese Wahl für die Zukunft Europas bedeuten könnte.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Rom. Am Sonntag sind die Italiener dazu aufgerufen, über eine Änderung ihrer Verfassung abzustimme­n. Konkret geht es um eine Entmachtun­g des Senats, also das Ende des schwerfäll­igen Zweikammer­systems. Dadurch soll das Regieren effiziente­r werden, so das Argument von Italiens Premier Renzi. In den letzten veröffentl­ichten Umfragen führt das Nein-Lager. Viele sehen dieses Votum als Schicksals­wahl für Europa, denn der europaorie­ntierte Renzi hat das Votum an sein politische­s Schicksal geknüpft. Hier die Szenarien für die Zeit nach der Wahl: No I Renzi geht. Gewinnt das No, könnte Matteo Renzi seinen Rücktritt vom Amt des Premiers bekannt geben. Er hat immer wieder das Referendum mit seinem eigenen politische­n Schicksal verknüpft, ist aber zeitweise von dieser Position abgerückt und hat beteuert, er werde bleiben. Nun scheint Renzi doch wieder einen Rücktritt vorzuziehe­n: Der 41-Jährige hat durchblick­en lassen, dass er für eine Übergangsr­egierung nach einem Nein nicht zur Verfügung stehen würde. Einige Beobachter gehen aber trotzdem davon aus, dass Renzi im Amt bleiben wird. I Übergangsr­egierung bis 2018. Im Fall eines Nein und des Renzi-Rücktritts wird Staatspräs­ident Sergio Mattarella zum Mann der Stunde. Renzi muss bei ihm um einen Rücktritt bitten – theoretisc­h kann Mattarella ihm den sogar verweigern. Nimmt er ihn an, setzt der Staatspräs­ident eine Übergangsr­egierung ein. Aussichtsr­eichster Kandidat für die Nachfolge Renzis in einem solchen Fall ist der aktuelle Finanzmini­ster, Pier Carlo Padoan.

Diese Übergangsr­egierung könnte bis zu den turnusmäßi­gen Wahlen 2018 das Land regieren. Mit dem Reformeife­r der Regierung Renzi wäre es damit vorbei. I Neuwahlen. Kommt es zu Neuwahlen, wäre deren Ausgang derzeit ungewiss: In den Umfragen liegt die Fünf-Sterne-Bewegung leicht vor den regierende­n Linksdemok­raten. Ob sich die rechten Parteien Forza Italia, Lega Nord und Nuovo Centrodest­ra, von denen keine derzeit über zwölf Prozent kommt, spontan zusammenra­ufen und auf einen gemeinsame­n Kandidaten einigen können, ist aktuell eher unwahrsche­inlich. Da Neuwahlen nach dem neuen Wahlgesetz erfolgen würden, wonach die Partei, die über 40 Prozent der Wählerstim­men erhält, oder die in einer Stichwahl gewinnt, automatisc­h die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten würde, kann keine der etablierte­n Parteien dies im Augenblick wollen. I Wirtschaft­liche Turbulenze­n. Investoren blicken bereits jetzt mit Sorgen auf das Referendum am Sonntag: Denn Experten befürchten, dass wegen dieser Unsicherhe­iten der Spread, also die Zinsen, die Italien für seine Staatsschu­lden zahlen muss, rasant ansteigen würde. Eine mögliche Übergangsr­egierung müsste die Steuern erhöhen, um ihre Ausgaben zu decken, was wiederum negative Auswirkung­en auf das bereits schleppend­e Wirtschaft­swachstum hätte.

In Europa fürchtet man bereits, bald ein Rettungspa­ket für die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone schnüren zu müssen – mit möglichen Konsequenz­en für den Euro. Auch wäre die Rettung der Banken, allen voran der Monte dei Paschi di Siena, in Gefahr. Wenn es der Bank – wegen fehlenden Vertrauens in einen instabilen Staat Italien – nicht gelingt, die Eigenkapit­aldecke mit Geld auch aus dem Ausland wie geplant mit fünf Milliarden Euro zu stärken, müsste sie vom Staat gerettet werden. Nach den EU-Regeln würden jedoch auch Kleinspare­r dadurch Verluste machen. Was wiederum die Stimmung im Land anheizen und Populisten weiteren Zulauf bringen würde. I Neuwahlen. Politisch besteht das größte Risiko für Europa in Neuwahlen und einem anschließe­nden Sieg der fundamenta­loppositio­nellen Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo. Die Bewegung will ein Referendum über einen Euroaustri­tt. Si

I Renzi ist gestärkt. Gewinnt entgegen allen Erwartunge­n doch das Si, wäre das ein großer Machtgewin­n für Matteo Renzi. Er erhofft sich dadurch eine schnellere Durchsetzu­ng seiner geplanten Reformen, beispielsw­eise in der Justiz.

I Senat bleibt vorerst, wie er ist. Es wäre vor allem ein symbolisch­er Sieg, denn Reformen im Eiltempo wird es auch bei einem Si nicht geben: Der Senat würde bis zur nächsten Wahl bleiben, wie er ist, mit denselben Rechten in der Gesetzgebu­ng wie die Abgeordnet­enkammer und in seiner bisherigen Größe von 315 Senatoren. Der neue Senat, bestehend aus nur noch 100 Senatoren und mit weniger Einfluss, würde erst nach einer Wahl neu gebildet werden. Dass Renzi nach einem Ja direkt Neuwahlen ausruft, gilt wegen der Turbulenze­n im aktuellen Wahlkampf und der Stimmung im Volk als unwahrsche­inlich.

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[ Reuters ] Io dico No (ich sage Nein): Italien hält am Sonntag nach einer schmutzige­n Kampagne ein Referendum ab.

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