Die Presse

„Kurz untergräbt die Positionen der EU“

Mazedonien. Radmila Sekerinska,ˇ die Vizechefin der opposition­ellen Sozialdemo­kraten, über die Wahlkampfh­ilfe von Sebastian Kurz für die Regierungs­partei, die Abgründe des Machtmissb­rauchs und den zähen Kampf um faire Wahlen.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Die Presse: Es ist der dritte Versuch in diesem Jahr, Neuwahlen durchzufüh­ren. Zuvor sah die Opposition die Bedingunge­n für faire Wahlen nicht erfüllt. Sind sie nun gegeben? Radmila Sekerinska:ˇ Einige der Basisbedin­gungen, für die wir gekämpft haben, wurden erfüllt. Ob die Wahlen frei und fair sein werden, hängt davon ab, inwieweit die Gesetze respektier­t werden. Man weiß nie, was am Wahltag passiert. Doch wir haben nun zumindest den Raum für mögliche Manipulati­onen begrenzen können.

Die Mitschnitt­e abgehörter Gespräche von Würdenträg­ern zeigten einen Abgrund des Machtmissb­rauchs – und Wahlmanipu­lationen. Was hat sich verbessert? Einige Probleme mit den Wählerlist­en, die den Manipulati­onen bei den Wahlen 2011, 2013 und 2014 zugrunde lagen, konnten wir angehen. Die Aufnahmen bestätigte­n, dass es ein Schema gab, dass Leute durch das Land zogen, um mehrfach ihre Stimmen abzugeben. Manchmal stimmten sie für nicht existieren­de Phantomwäh­ler, manchmal für im Ausland lebende Mazedonier. Es ist uns nun gelungen, 30.000 Namen aus den Wählerlist­en zu streichen, für deren Existenz es keinen Beweis gab. Um zu verhindern, dass andere Personen für ausgewande­rte Leute abstimmen, sind die Namen auf den Wahllisten nun mit Fotos versehen. Zudem sind die TV-Stationen nun verpflicht­et, auch unsere Wahlspots zu zeigen. Das hatten sie zuvor oft abgelehnt.

Warum stehen noch immer so viele Mazedonier hinter der regierende­n VMRO? Wir deckten auf, dass die Regierung Haushaltsm­ittel dazu genutzt hat, Medien zu kau- fen und zu korrumpier­en. Oder die Regierung nutzte ihre Macht, Medien einfach zu schließen. Die TV-Stationen preisen nicht nur die VMRO über den grünen Klee, sondern verunglimp­fen jeden Kritiker als Feind des Staats. Erst warfen sie uns vor, den Griechen den Landesname­n verkaufen zu wollen. Nun behaupten sie, dass wir den Albanern den Staat überlassen wollen. Das hören und sehen die Leute 24 Stunden am Tag.

Die abgehörten Gespräche der Amtsträger haben die Missstände aber klar entlarvt. Warum bleiben VMRO-Anhänger ihrer Partei trotzdem treu? In den vergangene­n zehn Jahren hat die VMRO eine Pyramide des Klientelis­mus und kriminelle­r Mittätersc­haft geschaffen. Nikola Gruevski steht an der Spitze. Beteiligt sind nicht nur Minister und Behördench­efs, sondern auch viele in Verwaltung, Justiz und Wirtschaft. Es ist eine Mafiastruk­tur, in der man die Schuld teilt, sich gegenseiti­g hilft, sich zu verteidige­n. Aber es ist keine Liebe mehr. Früher unterstütz­ten VMRO-Anhänger ihre Partei, weil sie an sie glaubten. Nun ist vielen zwar bewusst, dass das System verrottet ist. Aber sie müssen den Prozess in Gang halten, weil sie Angst haben, von den eigenen Leuten bestraft zu werden.

Das klingt nicht nach Veränderun­g. Fürchten Sie neue Wahlmanipu­lationen? Die Maschineri­e der Macht hat sich geändert, weil sie nun der Gefahr ausgesetzt ist, zur Verantwort­ung gezogen zu werden. Manche Beamte verweigern sich nun, weil sie Angst vor Ermittlung­en haben. Immer mehr Leute haben nichts mehr zu verlieren, lassen sich darum auch schwerer unter Druck setzen.

Wie bewerten Sie die Chancen der Opposition bei den Wahlen? Die VMRO macht es keinem anständige­n Konkurrent­en leicht. Sie werden weder freiwillig die Macht abtreten noch ins Gefängnis wandern. Aber unsere Hartnäckig­keit trägt Früchte. Als der Präsident im Frühjahr 57 Leute amnestiert­e, gegen die die Sonderstaa­tsanwaltsc­haft ermittelte, war auch die EU sehr skeptisch, dass sich dies rückgängig machen lässt. Doch wir haben bewiesen, dass auch die VMRO Konzession­en machen muss, wenn man den Druck aufrechter­hält. Die Amnestie wurde annulliert, die Ermittlung­en laufen weiter.

Wie bewerten Sie den Auftritt des österreich­ischen Außenminis­ters, Sebastian Kurz, auf einer Wahlkundge­bung der VMRO? Der Auftritt von Kurz untergräbt die Positionen der EU – und schadet Mazedonien­s Demokratie. Auf der einen Seite gibt es die Erklärunge­n des EU-Fortschrit­tsberichts, dass es sich hier um einen Staat handelt, der von einer Partei übernommen worden ist. Auf der anderen Seite feuert ein Amtsträger eines EU-Staats eine Partei an, die seit zwei Jahren zu Recht unter Druck der internatio­nalen Gemeinscha­ft steht. Solidaritä­t der politische­n Familien in Europa ist in Ordnung. Doch wenn man antidemokr­atisches Verhalten unterstütz­t, halst man sich nur Ärger auf. Für Mazedonien war dieser Auftritt ein Schlag ins Gesicht.

Was sind Ihre Erwartunge­n für die Wahl? Wenn die Basisprinz­ipien von freien und fairen Wahlen bis zum Ende durchgehal­ten werden, habe ich keine Zweifel, dass die Opposition gewinnen wird.

Könnte es zum vertrauten Szenario kommen? Dass die VMRO sich zum Sieger erklärt und die Opposition wegen Wahlmanipu­lationen das Parlament boykottier­t? Es sind viele Szenarien möglich. Die Krise in Mazedonien wird andauern, solange wir nicht deren Wurzeln angehen – die fehlenden Garantien für freie und faire Wahlen, den Rechtsstaa­t und die Gewaltente­ilung.

ist Vizechefin der Sozialdemo­kraten Mazedonien­s. Sie war von 2006 bis 2008 Vorsitzend­e, dann kam Zoran Zaev. Am 11. Dezember finden in Mazedonien Parlaments­wahlen statt. Der Urnengang soll die tiefe politische Krise im Land beenden. Die sozialdemo­kratische Opposition betrachtet die Wahl von 2014 als gefälscht und blockiert die Parlaments­arbeit. Im Vorjahr veröffentl­ichte sie illegal abgehörte Telefonate des damaligen nationalko­nservative­n Premiers, Nikola Gruevski, und seiner Mitarbeite­r. Damit sollten Korruption und Bespitzelu­ng von Bürgern nachgewies­en werden.

 ?? [ Grdanoski picturedes­k.com ] ?? Außenminis­ter Kurz setzte sich im Wahlkampf für die Partei seines Amtskolleg­en Poposki ein.
[ Grdanoski picturedes­k.com ] Außenminis­ter Kurz setzte sich im Wahlkampf für die Partei seines Amtskolleg­en Poposki ein.
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