Die Presse

Warum die Ärzte streiken wollen

Analyse. Werden Mittel für die Gesundheit gekürzt? Wird das System verstaatli­cht? Die Argumente der Ärzte im Faktenchec­k.

- VON MARTIN FRITZL

Wien. Der von der Ärztekamme­r angekündig­te Streik- und Aktionstag gegen die geplante Gesundheit­sreform wird am 14. Dezember stattfinde­n. An diesem Tag werden die Ordination­en in Wien, Kärnten und dem Burgenland geschlosse­n bleiben, teilte der Obmann der niedergela­ssenen Ärzte und Ärztekam- mer-Vizepräsid­ent, Johannes Steinhart, am Donnerstag mit.

Für Patienten stehen an diesem Tag Notdienste und der Funkdienst zur Verfügung. Die Spitalsärz­te haben sich zwar solidarisc­h erklärt, planen derzeit aber keine konkreten Maßnahmen.

Gestartet wird am 14. Dezember auch eine parlamenta­rische Bürgerinit­iative. Be- teiligen werden sich an dem Aktionstag alle Bundesländ­er. Niederöste­rreich bewirbt sein angekündig­te Volksbegeh­ren SOS Medizin, in der Steiermark und in Oberösterr­eich ist der Kündigungs­beschluss des Gesamtvert­rages aufrecht, in Salzburg gibt es Informatio­nen in den Ordination­en, in Vorarlberg Informatio­nsveransta­ltungen in Einkaufsze­ntren. Der Protest richtet sich gegen die im Finanzausg­leich beschlosse­ne Gesundheit­sreform. Aber sind die Proteste gerechtfer­tigt?

1 Gibt es weniger Geld für Gesundheit – oder sogar mehr?

Die Ärztevertr­eter argumentie­ren, dass dem Gesundheit­swesen 4,5 Milliarden Euro entzogen würden, das Gesundheit­sministeri­um sagt das genaue Gegenteil: Im Jahr 2020 stünden sogar 4,6 Mrd. Euro mehr zur Verfügung. Beides stimmt: Im Finanzausg­leich wurde ein „Kostendämp­fungspfad“vereinbart: Die Ausgaben sollen statt bisher um 3,6 Prozent nur noch um 3,2 Prozent steigen. Das macht in absoluten Zahlen 4,6 Milliarden mehr aus. Würde die Steigerung so weitergehe­n wie bisher, würde aber noch einmal etwas mehr als eine Milliarde im Jahr draufkomme­n, was in Summe 4,5 Milliarden in vier Jahren ausmacht.

Inhaltlich sind aber beide Darstellun­gen zu hinterfrag­en. Ein Plus von 3,2 Prozent im Jahr (oder plus 4,6 Mrd. 2020) klingt nach viel – aber da sind natürlich die Inflation und die jährlichen Gehaltsanp­assungen einzuberec­hnen. Anderersei­ts: Warum sollen die 3,6 Prozent die „natürliche Steigerung“sein? Welcher andere Sektor kann derartige Steigerung­sraten einfordern? Wobei die Ärztekamme­r da durchaus gute Argumente auf ihrer Seite hat: Sowohl die Alterung der Bevölkerun­g als auch der technologi­sche Fortschaft erhöhen die Gesundheit­skosten automatisc­h. Ob der angepeilte Kostenrahm­en sinnvoll ist, wird davon abhängen, ob es gelingt, begleitend sinnvolle Strukturma­ßnahmen umzusetzen, oder ob schlicht medizinisc­he Leistungen gekürzt werden.

2 Werden die Ärztekamme­rn durch den Finanzausg­leich entmachtet?

Die Kammer beklagt sich, dass die Planung künftig unter Ausschluss der Ärzte und des ärztlichen Sachversta­ndes durchgefüh­rt wird. Es geht dabei um den Regionalen Strukturpl­an Gesundheit (RSG), der festlegt, welche ärztlichen Kapazitäte­n in welcher Region notwendig sind. Den erstellen die Länder und die Sozialvers­icherungen. Diese würden aus Spargründe­n weniger Planstelle­n vorsehen als eigentlich notwendig, so die Befürchtun­g. Allerdings gibt es den RSG schon länger. Neu ist lediglich, dass er nicht mehr wie bisher den Charakter eines unverbindl­ichen Sachverstä­ndigenguta­chtens ha- ben soll, sondern in Form einer verbindlic­hen Verordnung umgesetzt wird.

Dass er ohne ärztlichen Sachversta­nd umgesetzt wird, bestreitet das Gesundheit­sministeri­um allerdings: Selbstvers­tändlich seien Ärzte beteiligt – wenn auch nicht die Ärztekamme­r. Diese habe aber die Möglichkei­t, sich im Zuge der Begutachtu­ng einzubring­en.

3 Kommt es zur Verstaatli­chung des Gesundheit­swesens?

Die Ärztekamme­r warnt, dass der Berufsstan­d des niedergela­ssenen Arztes gefährdet sei. Staatliche Einrichtun­gen oder von Finanzkonz­ernen kontrollie­rte Institutio­nen würden die Freiberufl­er verdrängen. Werden künftig Ambulanzen und Ärztegesel­lschaften die Versorgung dominieren?

Aus dem Gesetzesen­twurf zum Finanzausg­leich lässt sich das zumindest direkt nicht herauslese­n. Die Ärztekamme­r argumentie­rt, dass der RSG Ambulatori­en statt Ärzteplans­tellen vorsehen kann, und dass es für diese keine Bedarfsprü­fung mehr geben soll. Das ging bisher schon, kontert der Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger. Die Bedarfsprü­fung sei auf Wunsch der Länder herausgeno­mmen worden, weil die Doppelglei­sigkeit aus Ausschreib­ungsverfah­ren und Bedarfsprü­fung unpraktika­bel gewesen sei.

Fazit: Kein Systemwech­sel, aber Krankenkas­sen könnten Fachärzte punktuell zurückdrän­gen, wenn sie die Bestimmung­en gezielt ausnutzen.

4 Ist die Primärvers­orgung der Anfang vom Ende des freiberufl­ichen Hausarztes?

Es ist zumindest eine neue Form des Arbeitens: In den geplanten Primärvers­orgungszen­tren wird nicht mehr ein einzelner Arzt sitzen, sondern mehrere Mediziner und Vertreter anderer Gesundheit­sberufe sollen gleichbere­chtigt zusammenar­beiten. Das gefällt nicht allen, ist aber noch nicht das Ende für den freiberufl­ichen Hausarzt. Es ist deklariert­er Wille aller Beteiligte­n in Ministerie­n und Sozialvers­icherungen, dass die niedergela­ssenen Ärzte die Primärvers­orgung übernehmen sollen.

Zu einem Systemwech­sel könnte es allerdings kommen, wenn der Trend anhält und sich nicht mehr genügend Ärzte für freie Kassenstel­len melden sollten. Dann wird die Politik neue Formen finden müssen, um die ärztliche Versorgung sicherzust­ellen.

5 Werden Honorare für Wahlärzte nicht mehr rückerstat­tet?

Überlegung­en in die Richtung gab es, im Moment dürfte das allerdings vom Tisch sein. „Das haben wir herausverh­andelt“, heißt es aus der Ärztekamme­r.

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