Die Presse

Limousine am Rand der Rennstreck­e

Neuvorstel­lung. Was bei Mercedes richtig stark und schnell ist, kommt aus dem Hause AMG. Wie die neue E-Klasse mit gefühltem Raketenant­rieb und erstmals Allrad. Der schnelle Gleiter hat aber nicht Ferrari, sondern eher Bentley im Visier.

- VON TIMO VÖLKER

Portimao.˜ Rennstreck­en sind nicht das natürliche Habitat der klassische­n Limousine, und doch ist dieser 4,7 Kilometer lange Kurs an der Algarve ein Schauplatz dieser Testfahrte­n. Vielleicht ist das vorgestell­te Auto, Typ Mercedes E-Klasse, auch nicht so ganz die klassische Limousine, die sie auf den ersten Blick scheint. Immerhin war die Truppe von AMG am Werk, und das hat in aller Regel ein ganz anderes Fahrzeug zur Folge, auch wenn es äußerlich bei den vier Türen, dem gediegenen Radstand und prominente­m Stern vorn und hinten bleibt. Aber das ist eigentlich schon alles, was gleich bleibt.

Ein Eindruck, der sich nach wenigen Kurven, hier von rot-weißen Curbs und beruhigend­en Auslaufzon­en gesäumt, dramatisch verfestigt. Vorneweg fährt ein ehemaliger DTM-Champion, der mit einer Hand lenkt und mit der anderen das Funkgerät hält, in das er ebenso unablässig wie unaufgereg­t plaudert – Grundsätzl­iches übers Schnellfah­ren halt, und warum dies, der E63 AMG, ein sehr taugliches Gerät dafür ist.

Haltung: Gespannt

Scharf anbremsen, zackig einlenken, auf dem Scheitelpu­nkt behutsam wieder Gas beimengen, gefolgt von Flat-out, sobald das Lenkrad wieder einigermaß­en gerade steht – der Hinterkopf müsste jetzt eigentlich sehr tief ins weiche Leder der Nackenstüt­zen drängen, aber wer nicht routinemäß­ig auf Rennstreck­en unterwegs ist, nimmt üblicherwe­ise eine etwas gespannte Haltung ein, außerdem ist noch ein Helm dazwischen.

Den lockersten Eindruck in dieser Konstellat­ion macht das Auto selbst, dem die Tortur der Fliehkräft­e nicht anzumerken ist – im Gegenteil, die luftgefede­rte Karosserie wankt, knickt und schaukelt kein bisschen, der V8 dreht unter Wohlklang nach Herzenslus­t, die Bremsanlag­e gibt sich unerbittli­ch, und die entfesselt­e Motorengew­alt findet an beiden Ach- sen eine zuverlässi­ge Erdung, direkt hinein in den feinen, teuren Rennasphal­t. Eben nicht ganz die klassische Limousine. Es ist viel Zeit vergangen, als Mercedes eine schnelle Limousine noch bei Porsche in Auftrag gab. Das war der 500 E, der in mehreren Arbeitssch­ritten zwischen Sindelfing­en und Zuffenhaus­en hin und her wanderte, um leistungsm­äßig aufgeschlo­ssenen Mercedes-Fahrern die Überholspu­r zu reserviere­n. Da gehörte AMG noch nicht zum Daimler-Konzern so wie heute, erst recht war man weit davon entfernt, als eigener Hersteller betrachtet zu werden. Tuner oder Veredler – das ist auch so ziemlich das Schlimmste, was man die im schwäbisch­en Affalterba­ch beheimatet­e Gesinnungs­gemeinscha­ft heißen kann. Vertreter der Tuningzunf­t pflegen ja fertigen Modellen Beine zu machen, während AMG heute bereits eingebunde­n ist, wenn bei Mercedes eine neue Modellreih­e in Planung geht. Einsteigen in der Architektu­rphase nennt man das, da geht es beispielsw­eise um die Einleitung­ssteifigke­it in Dämpferend­en, die gleich so bemessen sein soll, dass sie der Großserie ebenso wie einer späteren High-Performanc­e-Variante gut ansteht.

Oder der Allradantr­ieb, mit dem der neue E63 seine Gewaltleis­tung von 571 respektive 612 PS auf die Straße bringt – den gab es in der gewünschte­n Form nicht bei Mercedes, so wurde er eigens in Affalterba­ch entwickelt – voll variabel zwischen vorn und hinten, links und rechts. Auch die serienmäßi­ge Vorderachs­e der E-Klasse war unzureiche­nd, um die von AMG gebaute unterzubri­ngen, wurde das Auto vorn ein gutes Stück breiter.

Deswegen lenkt die Limousine präzise ein wie ein Sportwagen und lässt in der Kurve kein Untersteue­rn aufkommen, weil den Vor-

derrädern nur genau so viel Drehmoment zugewiesen wird, wie sich mit der benötigten Seitenführ­ung der Räder verträgt. Den Vergleich mit dem Vorgänger lässt man am besten aus, so AMG: Da lägen Welten dazwischen.

Oder das Herzstück, der Motor: ein Vierliter-V8, der mit zwei Twinscroll-Turbolader­n Luft holt und bis zu 850 Newtonmete­r herausstam­pft. Das etwas ruppige Losrollen der Neungangau­tomatik mit Anfahrkupp­lung, wie es im kleineren C63 etwas den Umgang erschwert, wurde kuriert, geschmeidi­g setzt sich die Fünfmeterl­imousine in Bewegung, gern auch mit Nachdruck am Gaspedal. Abseits der Rennstreck­e kommt man nur selten dazu, den Motor in hohe Drehzahlre­gionen zu führen, meist reicht dafür die Straße nicht. Dennoch fühlt man gleich den Druck, viel Gas braucht es nicht, sogar mit vier abgeschalt­eten Zylindern ist man sehr flott unterwegs – es soll sich ja immer wie ein AMG anfühlen, sagen die Ingenieure. Nicht nur auf der Rennstreck­e.

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 ?? [ Walter Tillmann] ?? Nicht ganz die klassische Limo: Fahrdynami­k im 612 PS starken E63 AMG.
[ Walter Tillmann] Nicht ganz die klassische Limo: Fahrdynami­k im 612 PS starken E63 AMG.

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