Ein Internet für erneuerbare Energien
Durch die fortschreitende Integration der erneuerbaren Energien sind die Stromnetze starken Belastungen ausgesetzt. Die intelligente Vernetzung von Produzenten und Verbrauchern könnte sie stabilisieren helfen.
Dunkelheit auf den Straßen, Fahrstühle und U-Bahnen bleiben stecken, Transportsysteme kollabieren, kein Telefon funktioniert mehr. In Spitälern versagen die Notstromaggregate, Atomkraftwerke werden zur tickenden Zeitbombe. Strom-Blackout. Bloßes Horrorszenario von Romanautoren wie Marc Elsberg („Blackout – Morgen ist es zu spät“) oder ernst zu nehmende Bedrohung in einem Land wie Österreich, das zu den führenden Ländern der Welt gezählt wird, was die Versorgungssicherheit bei Strom angeht? „Die mathematische Wahrscheinlichkeit kann niemand genau berechnen. Tatsache ist aber, dass das Risiko steigt“, meint dazu Karl Rose, Energie-Experte und Professor an der Universität Graz. Immer öfter müssten die Netzbetreiber eingreifen, um das Stromnetz zu stabilisieren und mit Wenn Stromkunden auf Verbraucherseite (Demand) in Echtzeit auf Anforderungen des Netzes reagieren, spricht man vom
Damit können Verbraucher etwa bei Engpässen in der Stromerzeugung nach vertraglicher Vereinbarung abgeschaltet oder umgekehrt bei Stromspitzen zugeschaltet werden. Über das DemandResponse-Managementsystem können so Netzschwankungen in einem automatisierten Verfahren intelligent ausgeglichen werden. jedem Eingriff erhöhe sich die Gefahr menschlichen oder technischen Versagens.
Anlass zur Sorge bereitet die Umsetzung der Energiewende mit den wachsenden Anteilen von erneuerbaren und dezentralen Energiequellen. Wurde bis dato Energie durch zentrale Großkraftwerke erzeugt und an viele kleine Verbraucher verteilt, speisen nun immer mehr Kleinkraftwerke sowie Privatpersonen erneuerbare Energie aus Sonne, Wind und Biomasse in die Stromnetze ein. Kunden werden zu Produzenten oder zumindest zu aktiven Systemteilnehmern, die in Zukunft auch Speicherkapazitäten und Nachfrage gezielt anbieten können. Stromnetze und Energielieferanten stehen somit vor großen Herausforderungen, denen man mit konventionellem Netzausbau nur bedingt begegnen kann. Der Schlüssel zu einem stabilen und effizienten Energiesystem liegt laut Experten vielmehr in der Flexibilität – auf Produktions- wie auf Nachfrageseite.
Verbraucher als Partner
Gefragt sind neue technische Lösungen, das Demand-ResponsePrinzip scheint darauf eine der passenden Antworten zu sein. „Die Rede ist von einem automatisierten Regelungsverfahren in Stromnetzen, bei dem die Verbrauchsseite auf Signale der Erzeugungssituation, der Netzauslastung oder generell auf Preissignale antwortet“, erläutert David Brewster von der US-Firma Enernoc, einem der weltweit größten Anbieter für Demand-Response-Systeme. Die Grundidee: Privatunternehmen richten ihre Erzeugung und ihren Verbrauch am Strommarkt aus. Gibt es im Netz beispielsweise Engpässe, stellen sie einzelne Verbrauchsanlagen einfach ab.
Während sich das Modell in den USA bereits seit mehr als zehn Jahren bewährt hat, wurde dieses Prinzip in Österreich erstmals 2015 vom Verbund implementiert. „Wir haben das Konzept für den Verbund-Power-Pool übernommen. Darin schließen sich Unternehmen zu einem virtuellen Großkraftwerk zusammen. Über den Power-Pool bündeln Industrie- und Gewerbekunden die Flexibilität ihrer Prozesse und Erzeugungsanlagen und stellen diese auf dem Regelenergiemarkt zur Verfügung“, erläutert Ingomar Seeber, Projektmanager Demand Response bei Verbund Solutions, das für heimische Verhältnisse innovative Geschäftsmodell.
„Virtuelles Kraftwerk“lautet neuerdings auch das Schlagwort bei der Salzburg AG. Gesetzt wird dabei seit 2015 auf eine neue Softwarelösung des österreichischen Start-up-Unternehmens cyberGrid, die Kraftwerkssteuerung, Informations- und Kommunikationstechnologie verknüpft. Der Vorgang: Zunächst bündelt das System erneuerbare Energie aus einer Vielzahl von Kleinkraftwerken und Erzeugungsanlagen zu einem virtuellen Kraftwerk. Die so gebündelte Energie kann nun an die Energiemärkte verkauft werden. In der Folge werden industrielle Lasten und Erzeuger in den Mix der bereits gesteuerten Kleinkraftwerke eingebunden. „Das System ist vergleichbar mit einem Internet für erneuerbare Energie“, erklärt Vorstandssprecher Leonhard Schitter.
Europäisches Projekt
Die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Integration von erneuerbaren Energien ins europäische Stromnetz untersucht hingegen seit 1. Juli im Rahmen des Projektes Callia ein multinationales Konsortium. „Das Forschungsvorhaben unterstützt den direkten, dezentralen Lastausgleich und Stromhandel von benachbarten Ländern oder Regionen“, erläutert Jia Lei Du, Projektleiter bei der Salzburg Research Forschungsgesellschaft und Koordinator der österreichischen Callia-Aktivitäten. Salzburg Research entwickelt dafür essenzielle IKT-Komponenten für die Kommunikation, den Energiehandel sowie die Ansteuerung von erneuerbaren Energieressourcen und Zwischenspeichergeräten.