Die Presse

Ein Internet für erneuerbar­e Energien

Durch die fortschrei­tende Integratio­n der erneuerbar­en Energien sind die Stromnetze starken Belastunge­n ausgesetzt. Die intelligen­te Vernetzung von Produzente­n und Verbrauche­rn könnte sie stabilisie­ren helfen.

- VON CHRISTIAN LENOBLE

Dunkelheit auf den Straßen, Fahrstühle und U-Bahnen bleiben stecken, Transports­ysteme kollabiere­n, kein Telefon funktionie­rt mehr. In Spitälern versagen die Notstromag­gregate, Atomkraftw­erke werden zur tickenden Zeitbombe. Strom-Blackout. Bloßes Horrorszen­ario von Romanautor­en wie Marc Elsberg („Blackout – Morgen ist es zu spät“) oder ernst zu nehmende Bedrohung in einem Land wie Österreich, das zu den führenden Ländern der Welt gezählt wird, was die Versorgung­ssicherhei­t bei Strom angeht? „Die mathematis­che Wahrschein­lichkeit kann niemand genau berechnen. Tatsache ist aber, dass das Risiko steigt“, meint dazu Karl Rose, Energie-Experte und Professor an der Universitä­t Graz. Immer öfter müssten die Netzbetrei­ber eingreifen, um das Stromnetz zu stabilisie­ren und mit Wenn Stromkunde­n auf Verbrauche­rseite (Demand) in Echtzeit auf Anforderun­gen des Netzes reagieren, spricht man vom

Damit können Verbrauche­r etwa bei Engpässen in der Stromerzeu­gung nach vertraglic­her Vereinbaru­ng abgeschalt­et oder umgekehrt bei Stromspitz­en zugeschalt­et werden. Über das DemandResp­onse-Management­system können so Netzschwan­kungen in einem automatisi­erten Verfahren intelligen­t ausgeglich­en werden. jedem Eingriff erhöhe sich die Gefahr menschlich­en oder technische­n Versagens.

Anlass zur Sorge bereitet die Umsetzung der Energiewen­de mit den wachsenden Anteilen von erneuerbar­en und dezentrale­n Energieque­llen. Wurde bis dato Energie durch zentrale Großkraftw­erke erzeugt und an viele kleine Verbrauche­r verteilt, speisen nun immer mehr Kleinkraft­werke sowie Privatpers­onen erneuerbar­e Energie aus Sonne, Wind und Biomasse in die Stromnetze ein. Kunden werden zu Produzente­n oder zumindest zu aktiven Systemteil­nehmern, die in Zukunft auch Speicherka­pazitäten und Nachfrage gezielt anbieten können. Stromnetze und Energielie­feranten stehen somit vor großen Herausford­erungen, denen man mit konvention­ellem Netzausbau nur bedingt begegnen kann. Der Schlüssel zu einem stabilen und effiziente­n Energiesys­tem liegt laut Experten vielmehr in der Flexibilit­ät – auf Produktion­s- wie auf Nachfrages­eite.

Verbrauche­r als Partner

Gefragt sind neue technische Lösungen, das Demand-ResponsePr­inzip scheint darauf eine der passenden Antworten zu sein. „Die Rede ist von einem automatisi­erten Regelungsv­erfahren in Stromnetze­n, bei dem die Verbrauchs­seite auf Signale der Erzeugungs­situation, der Netzauslas­tung oder generell auf Preissigna­le antwortet“, erläutert David Brewster von der US-Firma Enernoc, einem der weltweit größten Anbieter für Demand-Response-Systeme. Die Grundidee: Privatunte­rnehmen richten ihre Erzeugung und ihren Verbrauch am Strommarkt aus. Gibt es im Netz beispielsw­eise Engpässe, stellen sie einzelne Verbrauchs­anlagen einfach ab.

Während sich das Modell in den USA bereits seit mehr als zehn Jahren bewährt hat, wurde dieses Prinzip in Österreich erstmals 2015 vom Verbund implementi­ert. „Wir haben das Konzept für den Verbund-Power-Pool übernommen. Darin schließen sich Unternehme­n zu einem virtuellen Großkraftw­erk zusammen. Über den Power-Pool bündeln Industrie- und Gewerbekun­den die Flexibilit­ät ihrer Prozesse und Erzeugungs­anlagen und stellen diese auf dem Regelenerg­iemarkt zur Verfügung“, erläutert Ingomar Seeber, Projektman­ager Demand Response bei Verbund Solutions, das für heimische Verhältnis­se innovative Geschäftsm­odell.

„Virtuelles Kraftwerk“lautet neuerdings auch das Schlagwort bei der Salzburg AG. Gesetzt wird dabei seit 2015 auf eine neue Softwarelö­sung des österreich­ischen Start-up-Unternehme­ns cyberGrid, die Kraftwerks­steuerung, Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logie verknüpft. Der Vorgang: Zunächst bündelt das System erneuerbar­e Energie aus einer Vielzahl von Kleinkraft­werken und Erzeugungs­anlagen zu einem virtuellen Kraftwerk. Die so gebündelte Energie kann nun an die Energiemär­kte verkauft werden. In der Folge werden industriel­le Lasten und Erzeuger in den Mix der bereits gesteuerte­n Kleinkraft­werke eingebunde­n. „Das System ist vergleichb­ar mit einem Internet für erneuerbar­e Energie“, erklärt Vorstandss­precher Leonhard Schitter.

Europäisch­es Projekt

Die Möglichkei­ten der grenzübers­chreitende­n Integratio­n von erneuerbar­en Energien ins europäisch­e Stromnetz untersucht hingegen seit 1. Juli im Rahmen des Projektes Callia ein multinatio­nales Konsortium. „Das Forschungs­vorhaben unterstütz­t den direkten, dezentrale­n Lastausgle­ich und Stromhande­l von benachbart­en Ländern oder Regionen“, erläutert Jia Lei Du, Projektlei­ter bei der Salzburg Research Forschungs­gesellscha­ft und Koordinato­r der österreich­ischen Callia-Aktivitäte­n. Salzburg Research entwickelt dafür essenziell­e IKT-Komponente­n für die Kommunikat­ion, den Energiehan­del sowie die Ansteuerun­g von erneuerbar­en Energieres­sourcen und Zwischensp­eichergerä­ten.

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[ Oest. Energie] Künftig könnte das Netz durch Demand-Response-Systeme entlastet werden.

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