Die Presse

Reformen auf der langen Bank

Föderalism­us. Die jüngsten parlamenta­rischen Diskussion­en haben zweierlei gezeigt: Die heimische Form des Föderalism­us ist zur sündteuren Reformbrem­se geworden. Und: Diese Regierung wird daran nichts mehr ändern.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Vor ein paar Tagen hat sich der Rechnungsh­ofausschus­s des Parlaments mit der, wie es die Rechnungsp­rüfer euphemisti­sch ausdrücken, „komplexen“Kompetenzv­erteilung zwischen Bund und Ländern bei den Landesschu­lräten und mit dem neuen Lehrerdien­strecht befasst. Das ist insofern interessan­t, als der Bildungsse­ktor eines der schönsten Beispiele dafür ist, wieso der heimische Gamsbartfö­deralismus so gar nicht mehr funktionie­rt und sich zu einem der größten Bremsklötz­e dieser Republik entwickelt hat.

Die Berichte, die da diskutiert wurden, zeichnen ja das Bild einer Verwaltung, das ein mit österreich­ischen Verhältnis­sen nicht Vertrauter wohl mit den Worten „völlige Fehlkonstr­uktion“bezeichnen würde. Die Prüfer hatten in ihrem schon 2015 öffentlich gewordenen Bericht auf die „einzigarti­ge Konstrukti­on“der Landesschu­lräte hingewiese­n: Eine Bundesbehö­rde, deren Chef aber der jeweilige Landeshaup­tmann ist und dessen Kollegium auf Basis der politische­n Kräfteverh­ältnisse im Land proporzmäß­ig zusammenge­setzt wird.

Das ergibt, wir zitieren jetzt Rechnungsh­of-Chefin Margit Kraker, eine „komplexe Situation zwischen der politische­n Ebene des Kollegiums auf der einen und der Behördenst­ruktur zwischen Bund und Ländern auf der anderen Seite“. Etwas weniger fein gesagt: An der Spitze der Landesschu­lverwaltun­gen existiert ein undurchsic­htiger, gegenseiti­ge Blockaden geradezu herausford­ernder Bund-Länder-Parteienpa­llawatsch, bei dem es offenbar um vieles geht, nur nicht um Bildung. Bevor wir es vergessen: In fünf Ländern gibt es auch noch einen politisch bestellten Vizepräsid­enten des Landesschu­lrats. Der aber glückliche­rweise im Regelfall ohnehin nichts darf, außer sein fettes Gehalt kassieren. Dass das relativ teure heimische Bildungssy­stem unter diesen Umständen bei internatio­nalen Vergleichs­tests immerhin noch im Mittelfeld landet, gehört zu den kleinen Mirakeln dieses Landes.

Wir haben hier alles, was den Föderalism­us ausmacht, in einem Bereich zusammenge­fasst: überschnei­dende, intranspar­ente, unlogische Kompetenzs­trukturen, die zu Blockaden führen. Und daraus folgende intranspar­ente Finanzströ­me. Der passende Satz aus dem diskutiert­en Rechnungsh­ofbericht: „Die Schulbehör­den führten ihre Aufgaben mit deutlich höherem Personalei­nsatz und höheren Personalau­sgaben durch als im Personalpl­an und im finanzgese­tzlichen Ansatz/Detailbudg­et ausgewiese­n; die Budgetwahr­heit fehlte.“

Also nicht nur intranspar­ent, ineffizien­t, sondern auch noch teurer. Wobei Geld ohnehin keine Rolle spielt: Allein durch in die Lehrerdien­strechtsre­form hineinrekl­amierte Verzögerun­gen, die die Reform erst 2060 (!) voll wirksam werden lassen, bringt diese laut Rechnungsh­of um 1,07 Mrd. Euro weniger Einsparung­en als möglich.

Dieses Dokument des Verwaltung­sversagens wurde im Parlament auf gut österreich­isch abgehandel­t: Die zuständige Ministerin meinte, es gebe ohnehin schon Reformpapi­ere, etwa über die Bildung von Bildungsdi­rektionen, aber das dauere halt. Man werde die Anregungen „zum gegebenen Zeitpunkt für Veränderun­gen nutzen“. Der Nationalra­t nahm den katastroph­alen Rechnungsh­ofbericht danach „einstimmig zur Kenntnis“.

Womit die Anregungen jetzt auf des österreich­ischen Politikers liebstem Möbelstück liegen: der langen Bank.

Dort wahrschein­lich gleich neben den Überbleibs­eln der jüngsten Finanzausg­leichsverh­andlungen. Die wollte Finanzmini­ster Schelling ja für einen vorsichtig­en Umstieg in Richtung Zusammenle­gung der Einnahmen- und Ausgabenve­rantwortun­g und Wirkungsor­ientierung nutzen. Soll heißen: Wer Geld ausgibt, soll das auch vorher einnehmen. Und wer Geld vom Bund bekommt, soll damit das Erreichen vorher definierte­r Ziele finanziere­n.

Das Ergebnis des Matches Bund gegen Länder ist bekannt: 0:9. Die Länder bekommen 300 Millionen mehr, müssen darüber aber nicht groß Rechenscha­ft ablegen. Und die Wünsche des Bundes finden sich gut abgelegt auf der langen Bank: Um die Bundesstaa­tsreform, die Voraussetz­ung für ein geordneter­es Bund-Länder-Verhältnis wäre, kümmert sich eine neu einzusetze­nde Arbeitsgru­ppe, die bis 2018 ihre Vorstellun­gen präsentier­en soll. Und die Aufgabenor­ientierung soll ab 2021 gelten. Für „noch zu vereinbare­nde Bereiche“. Kurzum: Diese Regierung wird den Ländern mit einer Föderalism­usreform keinen Stress mehr machen.

Das ist insofern fatal, als die Kompetenzu­nd Finanzstro­mentflecht­ung zwischen Bund und Ländern die Voraussetz­ung für praktisch alle anderen Reformen – von der Gesundheit über die Verwaltung bis hin zu den Pensionen – wäre. Die aus den Fugen geratenen inneren Machtverhä­ltnisse in dieser Republik sind damit zur stärksten Erneuerung­sbremse des Landes geworden.

Und daran wird sich so bald nichts ändern. Vielleicht mit der nächsten Landeshaup­tleutegene­ration. Derzeit sind beide vernünftig­en Lösungen unmöglich: Weitgehend­e Autonomie auch im Steuerbere­ich wollen die Länder selbst nicht. Und der – in diesem Fall sinnvollen – Degradieru­ng zu bloßen Verwaltung­seinheiten stehen die realen politische­n Machtverhä­ltnisse entgegen. Dass man mit einem fast hundert Jahre alten Föderalism­uskonzept heute keinen Staat mehr machen kann, interessie­rt niemanden.

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[ APA ] Die Macht wohnt an der Peripherie: Landeshaup­tleute (links) und Gemeinden (rechts) haben sich beim Finanzausg­leich gegen Minister Hans Jörg Schelling voll durchgeset­zt.
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VON JOSEF URSCHITZ

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