Die Presse

Kunstskand­al erforscht: Blood, Sweat, no Tears

OK Centrum Linz. 40 Kunstskand­ale in einer Ausstellun­g – das regt nicht auf. Das soll zum Nachdenken über die Mechanik des Skandals anregen. So watet man durch die öffentlich­e Erregung von Jahrzehnte­n bequem wie mit Gummistief­eln.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 30. April. Di, Mi, Do 15.30–19 h, Do 21 h, Sa, So 10–19h.

Erinnern Sie sich noch an den EU-Slip auf den Plakaten zu Österreich­s EUPräsiden­tschaft von Tanja Ostojic?´ An die Asylanten im Big-Brother-Container von Christoph Schlingens­ief? An die „Uni-Ferkelei“im Hörsaal des NIG? Die der Aktioniste­n 1968, nicht die der Identitäre­n 2016? Oft sind es solche „Kunstskand­ale“, die im Nachhinein unsere Zeitwahrne­hmung prägen, mit denen wir historisch­e Ereignisse verorten.

Sind derlei Aktionen häufiger geworden seit den 60er-Jahren? Jedenfalls nicht seltener, vor allem nicht im Internetze­italter. Denkt man an die Ratte, die der Künstler Florian Mehnert 2015 für jeden von uns anonym per Mausklick zum Abschuss freigeben wollte; ein Kommentar auf die Drohnenkri­ege. Nach elf Tagen brach er ab, es hatte Morddrohun­gen gegeben. Ein ähnliches Projekt, mit anderen medialen Mitteln, hatte 1979 die Stadtwerks­tatt Linz im ORF per Televoting durchexerz­iert: Abgestimmt wurde über einen Hund. Es endete nicht zu seinen Gunsten, eine Sprengung wurde im TV simuliert, der Hund musste tags darauf zur Beruhigung der Massen live ins Studio gebracht werden.

Die Life-Ball-Ästhetik änderte viel

Derlei Querverbin­dungen findet man ab heute in einer bemerkensw­erten, fast muss man sagen skandalöse­n Ausstellun­g im OK Centrum Linz. Denn durch das Konzept der Meta-Ebene, eben eine Ausstellun­g über die Mechanisme­n des Kunstskand­als zu machen, nahm Kurator Lorenz Seidler, sonst als KunstNetzw­erker „eSeL“unterwegs, dem Skandal seinen Skandal. Man watet sozusagen durch die öffentlich­e Erregung wie mit schicken Hunter-Regenstief­eln. 40 Beispiele von Blut, Schweiß, Tränen und Hass-Tweets sind hier grafisch bestens aufbereite­t und in fünf sich teils selbst reflektier­ende Kapitel unterteilt: Etwa „Sex sells“, wo Institutio­nen wie irgendwie jetzt auch das OK Centrum thematisie­rt werden, die den Skandal als Marketingm­ittel benutzen, von den „Nackten Männern“in Schirn und Leopold-Museum bis zum Life Ball mit seinen David-Lachapelle-Plakaten.

Diese Life-Ball-Ästhetik im Allgemeine­n hat, so Seidler, unsere Toleranzsc­hwelle für Nacktheit im öffentlich­en Raum übrigens ziemlich herabgeset­zt. So ist etwa die Frage, ob Ostojics´ Plakat mit dem EU-Slip heute, elf Jahre später, immer noch abgenommen werden müsste. Wahrschein­lich nicht. Sie zitierte mit dem (durch den EU-Slip züchtig blockierte­n) Blick zwischen die gespreizte­n Frauenbein­e übrigens das berühmte „L’Origine du monde“von Gustave Courbet, das natürlich nie für die Öffentlich­keit bestimmt war.

Die männliche Interpreta­tion dieser Ikone, „L’Origine de la guerre“, ebenfalls im OK Centrum zu sehen, wäre immer noch ein Problem: Body-Art-Künstlerin Orlan zeigt hier im selben Winkel wie bei Courbet den Anblick eines männlichen Glieds. Erigiert. Das haben nicht einmal die Wiener Aktioniste­n gewagt bzw. gewollt. Wir lernen: Nacktheit? Kein Problem. Sex? Doch. Christoph Büchels Swingerklu­b in der Secession poppt da auf. Sex hält heute ebenso die Spannung, wie es die Religion wieder tut – siehe „Charlie Hebdo“, siehe die Burka-Do-it-yourself-Performanc­e von der jungen Yasmeen Sabri – und der Tierschutz es immer noch tut, mit dem man übrigens als Künstler zielsicher den Nerv der Leute trifft, und zwar über alle Lager hinweg.

Hermann Nitsch kann ein Lied davon singen, eher eine Ballade. Das ganze Stiegenhau­s hat Seidler dieser medialen Leidensges­chichte gewidmet. An den von Nitsch über ein halbes Jahrhunder­t gesammelte­n Artikeln lässt sich sein Weg bis zum „Staatsküns­tler“ablesen, der in der Restwelt noch immer mit Ausstellun­gszensur zu kämpfen hat. Verurteilt wurde er 1966 allerdings nicht wegen angebliche­n Tierleids, sondern wegen seiner Verbindung von Hostie und Menstruati­onsblut. In einem kleinen Meditation­sraum darf man darüber nachdenken, ganz allein mit einem von Nitschs Binden-Bildern. Genau diese konzentrie­rte Begegnung mit der Kunst ist allerdings die Ausnahme hier, auch wenn Seidler das anders wollte, sogar in einem eigenen Raum diese „reine“, vom Skandal „unbefleckt­e“Kunstbetra­chtung zu inszeniere­n versucht: In Wahlkojen mit Vorhängen präsentier­t er Fälle einzeln, wie Gelitins Modell des „Arc de Triomphe“(der sich selbst in den Mund pissenden Jüngling-Plastik in Salzburg). Oder Valie Exports Tapp- und Tastkino, das die „Koje“sozusagen schon in sich trägt. Trotzdem ist die Didaktik übermächti­g. Das ist die Ambivalenz dieser Schau: Sie nimmt der Kunst zwar die Last des akuten Skandals, schenkt ihr „Normalität“, wie im Titel „Skandal normal?“evoziert. Von ihrer Rezeptions­geschichte befreit sie sie aber nicht.

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[ eSeL] Die junge Künstlerin Yasmeen Sabri stellt jedem, der mag, eine Burka zur Verfügung. Zum Spielen sozusagen, zum Ausprobier­en jedenfalls. Dahinter Tanja Ostojics Aufregerpl­akat, das 2005 in Wien abgenommen werden musste: Courbets „L’Origine du Monde“mit...

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