Die Presse

So vertrackt war Rockmusik einst

Museumsqua­rtier. King Crimson, das alte Schlachtsc­hiff des Progressiv­e Rock, ankerte im Hafen Wien: fast drei Stunden, geprägt von klaren Sounds, Soulfulnes­s und Kunstwolle­n.

- VON SAMIR H. KÖCK

Wenn Maestro Robert Fripp ruft, raffen sie sich noch einmal auf, die Gymnasiast­en der späten Sechziger- und frühen Siebzigerj­ahre. Friedhofsb­lond oder kahl pilgern sie dann in eine Konzerthal­le und raunen den Bandnamen King Crimson, als wäre er eine Zauberform­el. Ein Rückfall in alte, testostero­nhaltigere Zeiten ist dann unabwendba­r, obwohl kaum je Frauen bei King-Crimson-Konzerten gesichtet werden. Viele der alten Zausel reklamiere­n dann kühn die Deutungsho­heit für die genialen Rätselhaft­igkeiten dieser Band für sich . . .

Auch im Foyer des Museumsqua­rtiers brachen vor dem Konzert Rivalitäte­n bezüglich der surrealen Doppelbödi­gkeiten von Songtexten und der Qualität der wechselnde­n Leadsänger auf. Einig war man sich bloß darin, dass King Crimson die würdigste Band des Progressiv­e Rock ist. Ihr Debüt „In The Court of the Crimson King“(1969) gilt als erstes Album eines Genres, das kreativ bald im Pomp a` la Genesis, ELP und Yes ersticken sollte. Hätte es darin ausschließ­lich Bands von der bedingungs­losen Musikalitä­t King Crimsons gegeben, wäre eine Punk-Revolution vielleicht gar nicht nötig gewesen: Der Gedanke, dass man gerade dann Musik machen sollte, wenn man sein Instrument nicht beherrscht, war schön, aber nicht nachhaltig. Aus heutiger Perspektiv­e erstaunt jedenfalls, wie kurz die Zeit zwischen der Elaboriert­heit des Progrock und dem Wutgeheul des Punk war. Heute sind beide längst im Stadium der Historizit­ät. Die Punkheroen The Damned sind derzeit auf 40-Jahre-Jubiläums-Tour, und King Crimson zelebriere­n ihren natürliche­n Hang zur Prachtentf­altung weltweit.

Die drei Schlagzeug­er im Vordergrun­d der Bühne sorgten zunächst für kleinere Angstschüb­e. Mit „Tuning Up“, einer dem Stimmen von Instrument­en gewidmeten Miniatur, begann die fast dreistündi­ge Reise in die exzentrisc­hen Klangwelte­n des erratische­n Herrn Robert Fripp.

Motive aus der Bundeshymn­e

Als vertrauens­bildende Maßnahme tändelte Flötist Mel Collins dann in „Pictures of a City“mit Motiven der österreich­ischen Bundeshymn­e. Schweren Gitarrenri­ffs stand bereits hier geziertes Kunstwolle­n von Mellotron und Saxofon gegenüber. Bei King Crimson regiert das Prinzip, die dialektisc­he Spannung zwischen dem Unbewusste­n und dem Rationalen hörbar zu machen. Bald in Wohlklang, wie in dem lieblichen Gitarrenin­terludium, das Fripp in „Cirkus“einbaute, bald in böser Dissonanz wie bei „The Letters“. Zwischen diesen Polen waren die sieben Musiker in ständiger Bewegung, schließlic­h laugt nichts mehr aus als der Müßiggang. Der neue Sänger Jakko Jakszyk brillierte mit jenem verhal- tenen Pathos, das in der goldenen Backhendlz­eit des Progrock üblich war. Das endzeitlic­he „Epitaph“sang er mit dem wehen Ton eines Soulsänger­s, das peitschend­e „Easy Money“mit der Rauheit eines Heavy-Metal-Shouters. Weitere gesanglich­e Highlights waren das drängende „Starless and Bible Black“und das hauchzarte „The Court of the Crimson King“, bei dem Fripp hofratsmäß­ig orgelte. Genussvoll schritten die Musiker die große Vergangenh­eit ab. „Lark’s Tongues in Aspic“, die einer altrömisch­en Delikatess­e zugeeignet­e Suite, verwöhnte mit Komplexitä­t, „Red“mit unverwandt­er Erdigkeit.

Modeikone Coco Chanel beurteilte die Menschen danach, wie sie ihr Geld ausgeben. Die Art, wie Fripp und Freunde Noten verschleud­ern, ohne zu urassen, hätte ihr wohl behagt. Zum Ausklang des Hochamts wurde eine kunstvoll räudige Version von „21st Century Schizoid Man“gereicht. Da hatten die Altfans längst Wasser in den Augen.

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