Die Presse

Ein Europa der Nationen wäre auch schon etwas

Gastkommen­tar. Die Flüchtling­sbewegung zeigte, es gibt eine nationale Solidargem­einschaft, der man sich im Krisenfall zugehörig fühlen möchte.

- VON WERNER PLESCHBERG­ER

Die EU-Idee ist so einfach wie fasziniere­nd: Nationalst­aaten wandeln sich in Mitgliedst­aaten eines Verbundes. Sie sind willens, sich auf Gemeinsame­s zu einigen, sich in der Not solidarisc­h beizusprin­gen und wollen aus Eigeninter­esse in der Weltpoliti­k mit einer Stimme sprechen.

Das funktionie­rte in der Vergangenh­eit mehr oder weniger, die EU-Krisen sind eine naturgemäß­e Zeitersche­inung. Heute sei nach den Aussagen hoher EU-Offizielle­r die EU in einer existenzie­llen Krise (Juncker), ihr drohe die Rückabwick­lung durch nationalis­tische Bewegungen und populistis­ch gestimmte Regierunge­n (Schulz), was die ambivalent­e breite Meinungsla­ge über die EU nährt.

Die diagnostiz­ierte EU-Krise verstellt (absichtlic­h?) den Blick auf die problemati­sche Allzuständ­igkeit der EU, auf die praktische Effektivit­ät der Mitgliedst­aaten in Krisenlage­n und darauf, dass na- tionale Befindlich­keiten der Gesellscha­ften der Mitgliedst­aaten zeitgemäße Sentiments sind.

Schon 1952 träumte der EUGründung­svater Jean Monnet von einer Europäisch­en Bundesregi­erung (für damals sechs Staaten). Die heutigen Super-Föderalist­en geben seinen Traum für 28 Staaten nicht auf, was in einem aktuellen Entwurfsdo­kument des EU-Parlaments nachzulese­n ist (http:// www.europarl.europa.eu/committees/en/afco/draft-reports.html).

Föderalist­en überdrehen

Die vielseitig­e Krise der EU, darunter ihre „Migrations­krise“, wurzele in der zu langen Suche nach Einstimmig­keit im Rat, im Fehlen einer zentralen Exekutive, im Mangel an europäisch­er Vision unter Mitgliedst­aaten usw. Die Rezepte: mehr Kompetenze­n für die EU, normale Mehrheitse­ntscheidun­gen über die Köpfe von opponieren­den Staaten hinweg, eine Art europäisch­e Zentralreg­ierung mit direktem Durchgriff nach unten usw. Käme diese Kopie nationaler Föderalism­usmodelle im Verfassung­sprozess in Gang, sie wäre ein Beitrag zur „Rückabwick­lung“der EU.

Zentralisi­erung als Problem

Natürlich ist die europäisch­e Integratio­n ohne eine gewisse Zentralisi­erung unmöglich. Solide ökonomisch­e Befunde zeigen, dass die EU sich regulieren­d in Politikber­eiche einmischt, in denen die Größenvort­eile gering und die Präferenze­n der Staaten und Gesellscha­ften sehr verschiede­n sind. Die EU-Kommission findet im Eigeninter­esse und in formelhaft­er Sprache immer gute Gründe für gemeinscha­ftliche Lösungen, weil notwendig, effiziente­r als nationale Regelungen usw. Das betrifft längst nicht mehr ökonomisch­e Fragen und den europäisch­en Binnenmark­t.

Ähnliche Tendenzen finden sich in den sensiblen Bereichen Grenzkontr­olle, Asyl und Migration, in denen die Mitgliedst­aa-

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