Belohnung für das Schuldenmachen
Gastkommentar. Willkommen in der Welt der negativen Zinsen! Es könnte aber ein unerfreuliches Erwachen geben.
Stellen Sie sich vor, Sie bekommen bei Ihrem Einkauf im Supermarkt von der Kassiererin Geld in die Hand gedrückt! Und zwar umso mehr Geld, je teurer Ihr Einkauf ist. Wenn Sie sich das wirklich vorstellen können, dann willkommen in der Welt der negativen Zinsen!
Was man früher aus Einzelfällen in Japan, der Schweiz und Skandinavien kannte, ist seit Juni 2014 auch in der Eurozone Realität: Für Geldanlagen bei der EZB erhalten Banken nur mehr einen negativen Zinssatz, das heißt, sie müssen Geld dafür bezahlen, dass sie Geld bei der EZB „lagern“können. Natürlich wird keine Bank gezwungen, das auch wirklich zu tun, aber viele Banken haben einen großen Überschuss an Spareinlagen, den sie nicht in Form von Krediten mit vernünftigen Zinssätzen vergeben können.
Was bedeutet das für Kreditnehmer? Die meisten variabel verzinsten Kredite haben eine dem Euribor entsprechende Verzinsung zuzüglich einer von der Bonität des Kreditnehmers abhängigen Marge. Manche Kreditnehmer mit hoher Bonität – etwa Gemeinden – haben Kredite mit einer Marge von weniger als 0,3 Prozent. Bei wörtlicher Vertragsauslegung und einem negativen Zinssatz erhalten sie Geld für die Kreditaufnahme anstatt Zinsen zu zahlen. Ein Anreiz, sich stärker zu verschulden und damit langfristig hohe Risken einzugehen. Sollten die Zinsen wieder steigen, wird es ein unerfreuliches Erwachen geben.
Aber auch bei allen anderen Krediten stehen die Banken vor dem Problem, dass sie nicht mehr die volle Marge erhalten, die sie zur Abdeckung ihrer Kosten und der Kreditausfälle benötigen. Wenn nun die Zinsen weiter in den negativen Bereich sinken, wird es zu der ökonomisch völlig unsinnigen Situation kommen, dass man für das Beziehen einer Leistung Geld erhält. Aus diesem Grund versuchen viele Banken, die Kreditverträge mit ihren Kunden so abzuändern, dass sie negative Referenzzinssätze nicht an die Kunden weitergeben müssen. Um das explizit zu verankern, was im Gesetz sinngemäß heißt: „Ein Kredit ist ein entgeltliches Geschäft.“
Kreditnehmer und Konsumentenschützer versuchen nun, das Recht auf einen negativen Kreditzinssatz einzuklagen. Sie argumentieren: Wenn es einen negativen Euribor gibt und Banken sich ja auch zu negativen Zinssätzen Geld ausleihen können, entsteht ihnen auch kein Schaden, wenn sie die negativen Zinsen an ihre Kunden weitergeben. Dieses Argument ist unzutreffend. Es gibt nämlich in Österreich keine Bank, die sich zu negativen Zinssätzen refinanziert. Das liegt daran, dass die meisten Banken den größten Teil ihres Geldes in Form von Spareinlagen bei ihren Sparkunden ausleihen. Und da sagt der Oberste Gerichtshof ganz klar, dass Spareinlagen immer einen positiven Zinssatz haben müssen. Banken sind also in Österreich gezwungen, auf Spareinlagen Zinsen zu zahlen, unabhängig davon, ob der Euribor negative Werte aufweist. Diese drohende Asymmetrie in der rechtlichen Behandlung von Spar- und Kreditzinsen würde genau jene volkswirtschaftlich so wichtigen lokal bis regional tätigen Primärbanken treffen, die Kredite vergeben, Einlagen solide verwalten und kein systemisches Risiko darstellen.
Eine Rechtsprechung, die eine Ungleichbehandlung von Spareinlagen und Krediten bei negativen Zinsen zulässt, wäre ein Desaster für alle österreichischen Banken und im Fall eines weiteren Absinkens der Zinsen eine ökonomische Katastrophe für Österreich, weil eine Kreditvergabe damit praktisch zum Erliegen käme. Und das hätte auf das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze dramatische Auswirkungen.