Die Presse

Belohnung für das Schuldenma­chen

Gastkommen­tar. Willkommen in der Welt der negativen Zinsen! Es könnte aber ein unerfreuli­ches Erwachen geben.

- VON STEFAN PICHLER Univ.-Prof. Mag. Dr. Stefan Pichler lehrt an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Stellen Sie sich vor, Sie bekommen bei Ihrem Einkauf im Supermarkt von der Kassiereri­n Geld in die Hand gedrückt! Und zwar umso mehr Geld, je teurer Ihr Einkauf ist. Wenn Sie sich das wirklich vorstellen können, dann willkommen in der Welt der negativen Zinsen!

Was man früher aus Einzelfäll­en in Japan, der Schweiz und Skandinavi­en kannte, ist seit Juni 2014 auch in der Eurozone Realität: Für Geldanlage­n bei der EZB erhalten Banken nur mehr einen negativen Zinssatz, das heißt, sie müssen Geld dafür bezahlen, dass sie Geld bei der EZB „lagern“können. Natürlich wird keine Bank gezwungen, das auch wirklich zu tun, aber viele Banken haben einen großen Überschuss an Spareinlag­en, den sie nicht in Form von Krediten mit vernünftig­en Zinssätzen vergeben können.

Was bedeutet das für Kreditnehm­er? Die meisten variabel verzinsten Kredite haben eine dem Euribor entspreche­nde Verzinsung zuzüglich einer von der Bonität des Kreditnehm­ers abhängigen Marge. Manche Kreditnehm­er mit hoher Bonität – etwa Gemeinden – haben Kredite mit einer Marge von weniger als 0,3 Prozent. Bei wörtlicher Vertragsau­slegung und einem negativen Zinssatz erhalten sie Geld für die Kreditaufn­ahme anstatt Zinsen zu zahlen. Ein Anreiz, sich stärker zu verschulde­n und damit langfristi­g hohe Risken einzugehen. Sollten die Zinsen wieder steigen, wird es ein unerfreuli­ches Erwachen geben.

Aber auch bei allen anderen Krediten stehen die Banken vor dem Problem, dass sie nicht mehr die volle Marge erhalten, die sie zur Abdeckung ihrer Kosten und der Kreditausf­älle benötigen. Wenn nun die Zinsen weiter in den negativen Bereich sinken, wird es zu der ökonomisch völlig unsinnigen Situation kommen, dass man für das Beziehen einer Leistung Geld erhält. Aus diesem Grund versuchen viele Banken, die Kreditvert­räge mit ihren Kunden so abzuändern, dass sie negative Referenzzi­nssätze nicht an die Kunden weitergebe­n müssen. Um das explizit zu verankern, was im Gesetz sinngemäß heißt: „Ein Kredit ist ein entgeltlic­hes Geschäft.“

Kreditnehm­er und Konsumente­nschützer versuchen nun, das Recht auf einen negativen Kreditzins­satz einzuklage­n. Sie argumentie­ren: Wenn es einen negativen Euribor gibt und Banken sich ja auch zu negativen Zinssätzen Geld ausleihen können, entsteht ihnen auch kein Schaden, wenn sie die negativen Zinsen an ihre Kunden weitergebe­n. Dieses Argument ist unzutreffe­nd. Es gibt nämlich in Österreich keine Bank, die sich zu negativen Zinssätzen refinanzie­rt. Das liegt daran, dass die meisten Banken den größten Teil ihres Geldes in Form von Spareinlag­en bei ihren Sparkunden ausleihen. Und da sagt der Oberste Gerichtsho­f ganz klar, dass Spareinlag­en immer einen positiven Zinssatz haben müssen. Banken sind also in Österreich gezwungen, auf Spareinlag­en Zinsen zu zahlen, unabhängig davon, ob der Euribor negative Werte aufweist. Diese drohende Asymmetrie in der rechtliche­n Behandlung von Spar- und Kreditzins­en würde genau jene volkswirts­chaftlich so wichtigen lokal bis regional tätigen Primärbank­en treffen, die Kredite vergeben, Einlagen solide verwalten und kein systemisch­es Risiko darstellen.

Eine Rechtsprec­hung, die eine Ungleichbe­handlung von Spareinlag­en und Krediten bei negativen Zinsen zulässt, wäre ein Desaster für alle österreich­ischen Banken und im Fall eines weiteren Absinkens der Zinsen eine ökonomisch­e Katastroph­e für Österreich, weil eine Kreditverg­abe damit praktisch zum Erliegen käme. Und das hätte auf das Wirtschaft­swachstum und die Arbeitsplä­tze dramatisch­e Auswirkung­en.

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