Demontage im Dezember
Leitartikel. Das unwürdige Duell zweier Oppositionspolitiker um das höchste Amt im Staat begleitet den Abstieg der einstigen Volksparteien. SPÖ und ÖVP drohen aber noch schlimmere Zeiten.
Ein überparteilicher Grün-Politiker, der seine eigenen politischen Standpunkte nicht mehr verteidigen will oder kann, ein FPÖ-Politiker, der in Fußballermanier eine Schwalbe nach der anderen hinlegt und seinen Gegner ununterbrochen als Lügner beschimpft: Das sind mit Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer die Kandidaten für das höchste Amt im Staat. Das war am Donnerstag auf ORF das letzte von unzähligen TV-Duellen zweier Menschen, die auf unterschiedlichen Ebenen nicht miteinander kommunizieren können und wollen. Das war eine Schlüsselszene im Drehbuch des langsamen Untergangs der politischen Kultur Österreichs. Zum Politikschämen.
Die Debatte markiert den traurigen Höhepunkt eines Präsidentschaftswahljahres, das dank Pannen, Anfechtung, Wahlaufhebung und Verschiebung zum sinnlosen Marathon und zur innenpolitischen Lähmung geführt hat. Die Kandidaten von SPÖ und ÖVP gingen im ersten Durchgang unter, in der Sozialdemokratie sorgte die Blamage – vor wenigen Jahren völlig unvorstellbar – neben anderen Gründen für einen Wechsel an der SPÖ-Spitze. In unzähligen öffentlichen Konfrontationen versuchten die verbliebenen Kandidaten von FPÖ und Grünen, mehr oder weniger deutlich Überparteilichkeit zu signalisieren, sich voneinander abzugrenzen und dennoch in der Mitte des politischen Spektrums Wähler anzusprechen. Hofer wollte von extremen Positionen wie etwa der Forderung nach einer Abstimmung über einen EU-Austritt nichts mehr wissen. Van der Bellen traute sich angesichts der herrschenden EU-Skepsis nicht mehr an seinem Ideal von Vereinigten Staaten von Europa festzuhalten. Diese völlige intellektuelle Aufweichung untergrub die Authenti- zität beider. Sie versuchten sich sogar, stilistisch neu zu erfinden: Van der Bellen gab plötzlich den mitunter ruppigen Lehrer (Professor) vom Land, Hofer versuchte sich als harter, aber sachlicher Staatsmann. In der TVDiskussion am Donnerstagabend zeigte er ein ganz anderes Gesicht und attackierte Van der Bellen offen und aggressiv. Kreide weg, Inhalt weg, Respekt weg.
Die Hearing-Chance vergeben
Beide buhlen um die Stimmen der Regierungsparteien. Während sich Van der Bellen über Wahlempfehlungen der überwiegenden Mehrheit der SPÖ-Politiker und eines ansehnlichen Teils von ÖVP-Politikern, viele davon außer Dienst, freuen kann, outeten sich wenige als Wähler Hofers, Reinhold Lopatka ist außerhalb der FPÖ noch der bekannteste. Hofer macht aus dieser Not eine Tugend, inszeniert sich nach Jahren als Berufspolitiker als Quereinsteiger gegen die Elite, die sich hinter Van der Bellen versammle. Interessanterweise haben sich beide Parteien nicht zu einer offiziellen Wahlempfehlung durchringen können. Damit überließen sowohl SPÖ als auch ÖVP strategisch dumm in den Wochen des Wahlkampfs die Bühne beiden Kandidaten, deren Parteien und individuellen Unterstützern. Sie ließen die Gelegenheit aus, die die Neos zumindest im ersten Wahlgang noch genutzt hatten: andere Kandidaten zu Hearings – etwa in die Parlamentsklubs – zu bitten und diese inhaltlich auf die jeweils eigenen Positionen abklopfen zu können. Damit wäre der Wahlkampf nicht nur sachlicher geworden, SPÖ und ÖVP hätten im Wahlkampf zumindest irgendeine Rolle gespielt und sich bei Überschneidungen der Positionen inhaltlich hinter einen Kandidaten stellen können. So blieb es bei Emotionen und Beschuldigungen.
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