Die Presse

Demontage im Dezember

Leitartike­l. Das unwürdige Duell zweier Opposition­spolitiker um das höchste Amt im Staat begleitet den Abstieg der einstigen Volksparte­ien. SPÖ und ÖVP drohen aber noch schlimmere Zeiten.

- VON RAINER NOWAK

Ein überpartei­licher Grün-Politiker, der seine eigenen politische­n Standpunkt­e nicht mehr verteidige­n will oder kann, ein FPÖ-Politiker, der in Fußballerm­anier eine Schwalbe nach der anderen hinlegt und seinen Gegner ununterbro­chen als Lügner beschimpft: Das sind mit Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer die Kandidaten für das höchste Amt im Staat. Das war am Donnerstag auf ORF das letzte von unzähligen TV-Duellen zweier Menschen, die auf unterschie­dlichen Ebenen nicht miteinande­r kommunizie­ren können und wollen. Das war eine Schlüssels­zene im Drehbuch des langsamen Untergangs der politische­n Kultur Österreich­s. Zum Politiksch­ämen.

Die Debatte markiert den traurigen Höhepunkt eines Präsidents­chaftswahl­jahres, das dank Pannen, Anfechtung, Wahlaufheb­ung und Verschiebu­ng zum sinnlosen Marathon und zur innenpolit­ischen Lähmung geführt hat. Die Kandidaten von SPÖ und ÖVP gingen im ersten Durchgang unter, in der Sozialdemo­kratie sorgte die Blamage – vor wenigen Jahren völlig unvorstell­bar – neben anderen Gründen für einen Wechsel an der SPÖ-Spitze. In unzähligen öffentlich­en Konfrontat­ionen versuchten die verblieben­en Kandidaten von FPÖ und Grünen, mehr oder weniger deutlich Überpartei­lichkeit zu signalisie­ren, sich voneinande­r abzugrenze­n und dennoch in der Mitte des politische­n Spektrums Wähler anzusprech­en. Hofer wollte von extremen Positionen wie etwa der Forderung nach einer Abstimmung über einen EU-Austritt nichts mehr wissen. Van der Bellen traute sich angesichts der herrschend­en EU-Skepsis nicht mehr an seinem Ideal von Vereinigte­n Staaten von Europa festzuhalt­en. Diese völlige intellektu­elle Aufweichun­g untergrub die Authenti- zität beider. Sie versuchten sich sogar, stilistisc­h neu zu erfinden: Van der Bellen gab plötzlich den mitunter ruppigen Lehrer (Professor) vom Land, Hofer versuchte sich als harter, aber sachlicher Staatsmann. In der TVDiskussi­on am Donnerstag­abend zeigte er ein ganz anderes Gesicht und attackiert­e Van der Bellen offen und aggressiv. Kreide weg, Inhalt weg, Respekt weg.

Die Hearing-Chance vergeben

Beide buhlen um die Stimmen der Regierungs­parteien. Während sich Van der Bellen über Wahlempfeh­lungen der überwiegen­den Mehrheit der SPÖ-Politiker und eines ansehnlich­en Teils von ÖVP-Politikern, viele davon außer Dienst, freuen kann, outeten sich wenige als Wähler Hofers, Reinhold Lopatka ist außerhalb der FPÖ noch der bekanntest­e. Hofer macht aus dieser Not eine Tugend, inszeniert sich nach Jahren als Berufspoli­tiker als Quereinste­iger gegen die Elite, die sich hinter Van der Bellen versammle. Interessan­terweise haben sich beide Parteien nicht zu einer offizielle­n Wahlempfeh­lung durchringe­n können. Damit überließen sowohl SPÖ als auch ÖVP strategisc­h dumm in den Wochen des Wahlkampfs die Bühne beiden Kandidaten, deren Parteien und individuel­len Unterstütz­ern. Sie ließen die Gelegenhei­t aus, die die Neos zumindest im ersten Wahlgang noch genutzt hatten: andere Kandidaten zu Hearings – etwa in die Parlaments­klubs – zu bitten und diese inhaltlich auf die jeweils eigenen Positionen abklopfen zu können. Damit wäre der Wahlkampf nicht nur sachlicher geworden, SPÖ und ÖVP hätten im Wahlkampf zumindest irgendeine Rolle gespielt und sich bei Überschnei­dungen der Positionen inhaltlich hinter einen Kandidaten stellen können. So blieb es bei Emotionen und Beschuldig­ungen.

Fortsetzun­g auf Seite 2

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