Die Presse

„Globalisie­rung ist ein Sündenbock“

Interview. Viele Menschen hätten das Gefühl, sich nicht mehr mit ihrer eigenen Arbeit gut erhalten zu können, sagt DIW-Chef Fratzscher. Schuld daran sei aber nicht der Freihandel.

- VON JAKOB ZIRM

Die Presse: Der künftige US-Präsident Donald Trump hat angekündig­t, das pazifische Freihandel­sabkommen TPP kündigen zu wollen. Auch TTIP dürfte somit gestorben sein. Was halten Sie davon? Marcel Fratzscher: Ich bedauere das. Es wäre eine wichtige Chance für Europa, Asien und die USA gewesen, der Weltwirtsc­haft wieder einen wichtigen Impuls zu geben. Aber es ist auch kein riesiges Drama. TTIP ist in meinen Augen nämlich nicht gestorben, sondern liegt nur auf Eis. Irgendwann wird es kommen. Denn Europa und die USA können es sich gar nicht leisten, darauf zu verzichten. Es liegt in unserem ureigenste­n Interesse.

Trotzdem gibt es allgemein die Sorge, dass wir vor einer neuen Phase des Protektion­ismus stehen. Teilen Sie diese Sorge? Ich teile diese Sorge, halte es gleichzeit­ig aber auch für unwahrsche­inlich. Der Grund dafür ist, dass sich der Herr Trump mit seinen Drohungen einfach nicht wird durchsetze­n können. Vieles davon war Wahlkampfr­hetorik. Einen Handelspro­tektionism­us – etwa mittels Strafzölle­n – wird er nicht durchbring­en. Die Republikan­er sind eigentlich viel eher für Freihandel als die Demokraten. Und daher werden sie das verhindern.

Viele Ökonomen erwarten, dass Trumps Wirtschaft­spolitik Wachstum kosten wird. Gleichzeit­ig jubilieren die Finanzmärk­te, weil sie auf Investitio­nen in die US-Infrastruk­tur hoffen. Wie passt das zusammen? Kurz- bis mittelfris­tig wird sein Strukturpr­ogramm das Wachstum ankurbeln. Das ist gar keine Frage. Daher ist auch klar, dass die Aktienmärk­te und der Dollarkurs nach oben gehen. Die große Frage ist, wie sich das langfristi­g auswirken wird. Gibt es eine höhere Verschuldu­ng, die das Wachstum dann wieder negativ beeinfluss­t? In Summe bin ich bei der Wirtschaft­spolitik aber relativ entspannt. Meine Sorge in den USA liegt eher bei der Verteidigu­ngs- und Außenpolit­ik.

Die Wahl von Trump ist quasi der Höhepunkt einer politische­n Bewegung, die sämtliche westliche Länder erfasst hat. Diese eint eine Ablehnung der Globalisie­rung, obwohl eine offene Weltwirtsc­haft so viel Wohlstand wie nie zuvor gebracht hat. Wie erklären Sie sich das? Für mich ist das ein Problem der sozialen Ungleichhe­it. Die Menschen, die für Trump gestimmt haben, sind nicht unbedingt Arbeitslos­e. Es sind vielmehr Menschen aus der Mittelschi­cht, die Angst um ihre Jobs haben und auch bereits die vergangene­n 40 Jahre miterleben mussten, dass ihre Einkommen zurückgega­ngen sind. Sie sehen, dass der amerikanis­che Traum geplatzt ist. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie mit ihrer eigenen Arbeit nicht mehr für sich und ihre Familie gut sorgen können und die volle Kontrolle über ihr Leben haben. Für viele ist das heute einfach nicht mehr Realität. Ich halte jedoch die Globalisie­rung für einen Sündenbock, der eigentlich wenig mit dem Problem zu tun hat. In Wirklichke­it geht es viel mehr um den technologi­schen Wandel und dabei einhergehe­nd um Bildungsch­ancen und soziale Mobilität.

Gerade im sogenannte­n Rust-Belt hat Trump gewonnen. Dort sind viele Jobs durch Verlagerun­gen weggefalle­n. Was kann die Politik für einen 45-jährigen ExFabriksa­rbeiter tun? Mit Sicherheit nicht Handelsbar­rieren aufbauen. Das bringt die Jobs nicht zurück. Man kann die Uhr nicht zurückdreh­en. Es muss vielmehr eine Strukturan­passung statt- finden, sodass neue Jobs geschaffen werden. Dazu braucht es Investitio­nen, aber auch eine höhere Mobilität der Arbeitnehm­er. Und auch bei 45-Jährigen ist zusätzlich­e Bildung entscheide­nd.

In anderen Weltregion­en brachte die Globalisie­rung viele Menschen aus der Armut. Braucht es auch mehr Solidaritä­t in den Industriel­ändern, nach dem Motto: Das ist der Preis, den wir bezahlen müssen, damit es in Afrika und Asien besser geht? Ganz im Gegenteil. Wir Deutschen und Österreich­er haben unglaublic­h davon profitiert, dass sich China an den Weltmarkt angeschlos­sen hat. Viele Produkte könnten wir nie so günstig kaufen, wenn diese nicht in Asien produziert würden. Es gibt kein ,Wir gegen die‘ oder ein ,Die profitiere­n auf unsere Kosten‘. In Summe haben alle profitiert. Natürlich gibt es aber auch einzelne Verlierer, die ihre Jobs verloren haben. Um die muss man sich gezielter kümmern. Und das hat die Politik bisher falsch gemacht.

Nach der Globalisie­rung kommt die Digitalisi­erung. Sie bedroht noch viel mehr Jobs. Wie soll sich die Gesellscha­ft vorbereite­n? Die Digitalisi­erung kostet Jobs, sie schafft aber noch viel mehr – wenn es richtig gemacht wird. Erneut geht es hier um die Qualifizie­rung und Flexibilit­ät der Arbeitnehm­er. Die Welt hat sich massiv geändert, die Bildungssy­steme wurden aber nicht angepasst. Wenige Kinder werden in der frühkindli­chen Phase gefördert. Hier gehört viel mehr gemacht. Auch die Lerninhalt­e gehören verändert: Informatio­nstechnolo­gie, aber auch Wirtschaft haben an Bedeutung gewonnen. Die Lehrpläne spiegeln das aber nicht wider.

Aber auch in einem guten Bildungssy­stem sind nicht alle Menschen befähigt, AppDesigne­r oder Programmie­rer zu werden. Die Digitalisi­erung kann zwei Dinge nicht ersetzen: Empathie und Kreativitä­t. Gerade im Pflegebere­ich wird es in Zukunft sogar einen größeren Bedarf an Arbeitskrä­ften geben. Diese Jobs sind sehr anstrengen­d und derzeit auch schlecht bezahlt. Sie werden in Zukunft aber an Bedeutung gewinnen, weil sie nicht ersetzt werden können. Was es nicht mehr geben wird, sind die klassische­n Industriej­obs am Fließband. Ich weine diesen Jobs aber auch keine Träne nach, da sie kaum das aus dem Menschen herausbrin­gen, was uns zum Menschen macht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria