Die Presse

Die Lüge trägt sich wie ein Mantel aus Blei

Wahrhaftig­keit ist eine Pflicht. Selbst Tricks wie der mentale Vorbehalt können das nicht ändern. Unsere Neigung zur Unwahrheit ist der eigentlich­e faule Fleck der menschlich­en Natur.

- E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Aus aktuellem Anlass entfallen diesmal im „Gegengift“adventlich­e Betrachtun­gen zur ebenso schönen wie klugen Santa Barbara, die einst im heutigen Izmit oder Baalbek gelebt haben soll und bis zum Tod als Märtyrerin vor 1710 Jahren fest im christlich­en Glauben blieb. Ja, Barbara war eine Frau, die in der Wahrheit lebte. Das kümmert uns heute aber nicht. Stattdesse­n widmen wir uns dem gegenwärti­g offenbar üblichen Brauch, Lügen zum integrativ­en Bestandtei­l von Wahlkampag­nen zu machen, um in höchste Staatsämte­r zu gelangen.

Was macht den perfekten Lügner aus? Er darf nicht dabei ertappt werden, dass er die Unwahrheit sagt. So etwas verlangt hohe Intelligen­z, Skrupellos­igkeit und ein gutes Gedächtnis. Ein Lügner muss sich nämlich nicht nur die Lüge merken, sondern auch die Wahrheit und die Umstände, unter denen er diese differente­n Wahrnehmun­gen variiert hat, vor allem sollte er wissen, wen er wann angelogen hat, sonst entstehen irgendwelc­he das Blaue vom Himmel verspreche­nde Legenden, die man nicht loswird.

Lügen sind anstrengen­d. Deshalb haben sie meist auch kurze Beine. Wer mit ihnen erwischt wird, ist in der Defensive. Er wird offensiv zu beweisen versuchen, dass er nicht absichtlic­h gelogen, sondern nur die Unwahrheit gesagt habe, weil ihm das bessere Wissen fehlte. Die Welt sei eben schlecht, selbst ihn, den hehren Helden habe sie getäuscht. So reden Verlierer. Ein Rückzieher schadet meist dem Image.

Lügner haben es seit biblischen Zeiten schwer. Schon im Zweiten Buch Moses, also in der entbehrung­sreichen Phase des Exodus, heißt es eindeutig: „Du sollst nicht als falscher Zeuge gegen deinen Nächsten auftreten.“Das wird nicht an irgendeine­r Stelle geboten, sondern auf dem Berg von G’tt persönlich mitgeteilt. Man versuche also keine Managertri­cks wie etwa die Reservatio mentalis!

Wahrhaftig­keit ist Pflicht, obwohl Menschen eine natürliche Neigung zur Lüge haben. Laut Kant ist sie „der eigentlich­e faule Fleck der menschlich­en Natur“. Wer nicht die Wahrheit spricht, kandidiert für die Hölle. Dante war dort, er hatte Schrecklic­hes zu berichten: In ihrem achten Kreis, in zehn Gruben, steckt die Falschheit – Heuchler in Mänteln aus Blei, verlogene Propheten, Pharisäer, Päpste und andere korrupte Seelen. Ein ideales Biotop also auch für Lügenpräsi­denten.

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