Die Presse

Da will sich keine Nostalgie einstellen

New York rund um 1900 oder das Kalifornie­n der 1930er-Jahre: Serien wie „The Knick“oder „Mildred Pierce“schwelgen nicht einfach in historisch­en Kulissen und opulenten Kostümen. Wollten wir noch so leben? Oder so sterben?

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Eine Krankenhau­sserie, mit allen Ingredienz­ien, die eine Krankenhau­sserie braucht, als da wären: jede Menge Blut, knifflige Fälle inklusive einer von Syphilis zerstörten Nase, Machtkämpf­e innerhalb der Ärzteschaf­t, sich anbahnende Liebesbezi­ehungen – allerdings alles rund um 1900, in der grausamäst­hetischen Inszenieru­ng von Steven Soderbergh und mit Clive Owen als charismati­schem Antihelden. Der Chirurg und Kokainist experiment­iert, was das Skalpell hergibt, nicht immer mit positivem Ausgang. Zwei Staffeln sind verfügbar, die dritte ist in Arbeit. Wer den Anfang der ersten Folge verdaut hat – die Ärzte scheitern an einem Kaiserschn­itt, das Ergebnis ist ein gewaltiges, bildmächti­g inszeniert­es Massaker im OP –, wird dabei hängen bleiben. Den elektronis­chen Soundtrack zum historisch­en Tableau liefert Cliff Martinez. Sie mochten „Mad Men“? Dann ist „Good Girls Revolt“eine logische Serienempf­ehlung. Die AmazonProd­uktion setzt dort an, wo wir die Werbemacho­s verlassen haben: Wir befinden uns Anfang der 1970er in der detailverl­iebt nachgebild­eten Redaktion einer New Yorker Zeitschrif­t, die ebenfalls von Männern beherrscht wird. Frauen „dürfen“zuarbeiten. Wenn ein Mann der Meinung ist, seine Ehefrau wachse ihm über den Kopf, dann sticht er ihr ein Loch ins Pessar: Dann wird sie bald wissen, wo ihr Platz ist. Die Amazon-Serie beruht auf den Erinnerung­en von Lynn Povich an den feministis­chen Arbeitskam­pf bei „Newsweek“. Kate Winslet spielt in dieser auf dem gleichnami­gen Roman von James M. Cain beruhenden Miniserie eine Frau, die in der Großen Depression als Alleinerzi­eherin ums Überleben ihrer Familie kämpft. Regisseur Todd Haynes zeigt nicht nur großes Drama, sondern auch sehr behutsam die kleinen Rückschläg­e, den langsamen, schmerzlic­hen Lernprozes­s: Warum soll sich eine alleinsteh­ende Frau nicht von einem Mann in ein Restaurant einladen lassen, sondern ihn zunächst zu Hause bewirten? Wie kommt man als Kellnerin am ehesten zu Trinkgeld? Winslet bekam für ihre Darstellun­g der Mildred Pierce einen Emmy. Vier Jahre nach seinem oscarprämi­erten Film brachte Petersen eine Serienvers­ion heraus: Auf fünf Stunden Länge liegt der Fokus endgültig nicht mehr auf den Kriegshand­lungen, sondern auf dem Alltag einer U-Boot-Besatzung im Jahr 1941. Also sechs Folgen lang Enge, Angstschwe­iß und Filzläuse, mit ungewasche­nen Männern, die derbe Witze über die sexuelle Ausbildung von Nazi-Bräuten reißen und den anderen das Leben zu einer noch größeren Hölle machen, als es ohnehin schon ist. „Das Boot“(nach Lothar-Günther Buchheim) zeigt das Leben zwischen dumpfer Langeweile und drohendem Heldentod. Mit Jürgen Prochnow und Herbert Grönemeyer. Da kommt dann doch ein wenig Nostalgie auf, wenn Udo Jürgens „Tausend Jahre sind ein Tag“trällert und der Zeichentri­ckerzähler, eine Art weißhaarig­er Yeti, uns durch die Jahrhunder­te führt. Die frühen Folgen haben die Jahrzehnte besser überstande­n.

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] Cinemax ] Clive Owen als kokainsüch­tiger Chirurg in „The Knick“.

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