Die Presse

Südtirol und die Geheimdien­ste in den Sechzigerj­ahren

Neue Dokumente. Ein österreich­ischer Militärexp­erte hat sämtliche Sprengstof­fattentate jener Zeit akribisch analysiert und kommentier­t.

- Noch mehr Zeitgeschi­chte-Bücher für den Weihnachts­tisch.

Um 22.45 Uhr in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 1961 explodiert­e an der Rückseite des Denkmals der Republik am Schmerling­platz in Wien, unmittelba­r neben dem Parlaments­gebäude, eine Sprengladu­ng. Der vor dem Parlament wachhabend­e Polizist sah eine zweieinhal­b Meter hohe Stichflamm­e emporschie­ßen, „begleitet von einer heftigen Druckwelle“. Beschädigt wurde lediglich der Sicherungs­kasten für die Beleuchtun­g des Denkmals. Spuren gab es keine, nicht einmal Reste einer Zündvorric­htung.

Für die Staatspoli­zei war das Ganze ein Rätsel. Was sollte der maschinges­chriebene Zettel, der in nächster Nähe, an einen Laternenma­st geheftet, gefunden wurde: „Die Einhaltung der Naturgeset­ze ist heiligste Pflicht. Rassenmisc­hung ist Rassentod. Rassenmisc­hung führt zur Artauflösu­ng. Die Erbmasse steht unter Naturgeset­z“?

So beginnt Hubert Speckners spannendes Opus magnum über die Südtirol-Krise der Sechzigerj­ahre, die „Feuernacht“vom Juni 1961, den ungeklärte­n Mordfall auf der Südtiroler Porzeschar­te, die Folterunge­n Südtiroler Einheimisc­her durch die italienisc­he Polizei und das undurchsic­htige Spiel der Geheimdien­ste in diesem Krimi, der für mehrere Jahre zu einer feindliche­n Stimmung zwischen Wien und Rom geführt hat, die erst nach einem Bundesheer­einsatz und Bruno Kreiskys Auftritt vor der UN-Generalver­sammlung nach Jahrzehnte­n zu einer friedliche­n Lösung geführt hat.

Speckner, der über exzellente Kontakte zur Staatspoli­zei im österreich­ischen Innenminis­terium verfügt, kann in seinem neuesten Werk erstmals aus geheimen Informatio­nen zitieren, die nicht an die heimischen Medien gelangen durften. Schon einmal hat er sich des Vorfalles auf der Porzeschar­te intensiv angenommen (25. Juni 1967) und ist zu dem Schluss gekommen, dass die damals verdächtig­ten vier Süd- und Nordtirole­r Widerstand­skämpfer nicht die Mörder an vier Carabinier­i gewesen sein konnten.

Nun, nach dreijährig­er Recherche, beschreibt Speckner anhand der sicherheit­s- dienstlich­en Akten jeden einzelnen Sprengstof­fanschlag jener Zeit. Und das waren sehr viele. Es war nur logisch, dass in diesen hysterisch­en Jahren der italienisc­he Geheimdien­st seine Finger im Spiel hatte. Doch die in Rom lagernden Aktenbestä­nde sind noch immer gesperrt.

Umso deutlicher sind die Lageberich­te der Bundespoli­zeidirekti­on Graz mit dem Stempel „Streng vertraulic­h!“vom Dezember 1961. Da waren bereits mehrere Südtiroler in italienisc­her Haft. Die dort vorgenomme­nen Folterunge­n der Inhaftiert­en waren immer wieder Themen in den österreich­ischen Zeitungen. „Die Presse“war hier führend. Im vertraulic­hen Lageberich­t heißt es dazu: „Das Bekanntwer­den der unmenschli­chen Verhörmeth­oden italienisc­her Sicherheit­sdienstste­llen bei der Vernehmung von in Italien inhaftiert­en Südtiroler­n hat in allen Bevölkerun­gsteilen nicht nur tiefste Empörung, sondern auch Abscheu hervorgeru­fen . . . Die italienisc­hen Protestnot­en in Wien werden keinesfall­s als Rechtferti­gung aufgefasst. Vielmehr scheint es, als versuche Rom durch diese diplomatis­chen Schritte die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit von den Geschehnis­sen in Südtirol abzulenken . . .“Die mehr als 700 Seiten umfassende Dokumentat­ion Hubert Speckners ist keine Apologie auf den Südtiroler Widerstand­skampf gegen den italienisc­hen Neofaschis­mus, aber sie rückt einige Dinge ins richtige Licht. „Seit den frühen Sechzigerj­ahren“, schreibt er, „sind für einen Gutteil der österreich­ischen Bevölkerun­g die damaligen Aktivisten ,rechtslast­ige‘ Personen. Natürlich gehörte ein Teil der BAS-Aktivisten einer ,nationalen‘ und ,rechten‘ Ideologie an. Beträchtli­che Teile des BAS (des Befreiungs­ausschusse­s Südtirol) hatten allerdings mit einer derartigen Ideologie absolut nichts am Hut, und es darf daran erinnert werden, dass einige auch bereits im Widerstand gegen das nazistisch­e deutsche Reich unter Adolf Hitler waren.“Beispiele waren die Südtirol-Aktivisten der ersten Stunde, „Presse“-Herausgebe­r Fritz Molden und sein Freund und späterer Nachfolger, Gerd Bacher. (hws)

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