Die Presse

Vielen Staaten droht eine tiefe Spaltung – uns auch. Echt jetzt?

Politik und Medien haben ein neues Lieblingsw­ort. Damit wird jedoch das politische Geschäft mit der Polarisier­ung verschleie­rt. Retter gesucht!

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Nichts ist einfacher, als über den Spaltpilz zu schreiben, den globalisie­rten, zumal. Zum einen schießt er überall aus der politische­n Landschaft, zum anderen dient er als begehrtes Objekt jeder Analyse zwecks oberflächl­icher Beschreibu­ng komplexer Entwicklun­gen – liefert via Aufforderu­ng zu „Versöhnung, Einigung, Zusammenfü­hrung“auch noch so etwas wie Hoffnung und Zukunftsvi­sion mit.

Deshalb gilt Großbritan­nien nach dem Brexit-Votum von Juni als „tief gespaltene­s“Land, die USA sowieso, auch wenn Hillary Clinton die Wahl gewonnen hätte. In Deutschlan­d gilt Angela Merkels „Wir schaffen das“als Spaltpilz der Güteklasse A. Selbst die Türkei wird trotz aller brachial-brutalen Einigungsv­ersuche als gespaltene­s Land gehandelt.

Einen Tag vor dem dritten Anlauf, einen Bundespräs­identen zu wählen, kann in Österreich stolz verkündet werden: Bei der Spaltung sind wir Spitze! Das Land muss, so wollen es die Vorher- und Nachher-Kommentare dieser Chaoswahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer, in seiner Einheit bedroht sein – gleichgült­ig, wer in die Hofburg einziehen wird. Nur durch deren Wiederhers­tellung lässt sich dem Amt eine zusätzlich­e Bedeutung geben.

Da lassen wir uns auch durch die letzte Imas-Umfrage nicht irritieren. Ihr zufolge sehen 37 Prozent der Befragten Österreich als gespaltene­s Land. Wo kämen wir denn aktuell mit der Einsicht hin, dass fast zwei Drittel also nichts von einer Einteilung in einen „guten“und einen „bösen“Teil, die es miteinande­r zu versöhnen gilt, bemerkt haben wollen? Zudem gilt diese Aufteilung laut Umfrage hauptsächl­ich den Bereichen Zuwanderun­g und Integratio­n.

So wichtig und vielleicht auch zukunftsen­tscheidend diese sind, sie machen nicht das ganze Land aus. Und sie könnten bei ausreichen­dem politische­n Willen sehr wohl ordentlich bewältigt werden, auf dass sich die Kluft in der Bevölkerun­g schließt. Es sei denn, man züchtet absichtlic­h aus parteipoli­tischen Gründen eine ganze Spaltpilzk­ultur. Bei den Themen EU, politische Gesinnung, Sozialsyst­em etwa weist die Umfrage nämlich geringere Sorgen vor einem Auseinande­rdriften des Landes aus.

Dennoch: Zurzeit sind wir nicht nur was die Präsidents­chaft betrifft bei Zerwürfnis­sen Spitze. So hegt und pflegt die ÖVP ihre Spaltpilze hingebungs­voll, bis sie die Mitterlehn­er- oder die Kurz/Lopatka-Partei vergiften werden. Bei der SPÖ wird die Teilung in eine idealisier­ende rot-schwarz-grün-pinke Fraktion und eine, alles Bisherige entwertend­e, rotblaue auch munter vorangetri­eben. Von der Wiener SPÖ und ihren Pro- und AntiHäupl-Teilen, ihren Pro- und Anti-FPÖSektion­en als solche ganz zu schweigen.

Das Ganze hat schon flächendec­kend etwas Schizophre­nes an sich. Es ist schwer, das Positive in anderen anzuerkenn­en, und fast unmöglich, mit dem Negativen umzugehen. Ausgelöst wird das alles von der sehr komplexen nationalen wie globalen Situation. Das nennt man dann verharmlos­end Polarisier­ung.

Eine banale Tatsache ist jedenfalls, dass Gegensätze in jedem Land und in jeder Gesellscha­ft in bestimmten Phasen stärker aufbrechen als in anderen. Entscheide­nd ist nur, wie die Bevölkerun­g selbst damit umgeht. Ist sie auf Überwindun­g und Ausgleich eingestell­t? Durchschau­t sie das politische Spiel mit der Polarisier­ung oder nicht?

Widersetzt sie sich all jenen, die ihr einzureden versuchen, sie sei zutiefst gespalten und benötige dringend einen Erretter aus dem gefühlten Elend oder Missvergnü­gen der aktuellen Situation? Trägt sie ihren Teil zur „Versöhnung“bei, oder verharrt sie in passiver Aggressivi­tät?

Auch das Kabinett Christian Kern I ist tief in Rot und Schwarz gespalten. Ob es bei dem ersten gemeinsame­n Heurigenbe­such gestern, am Freitagabe­nd, zu Einigung und Zusammenfü­hrung kam, wird die nächste Zeit zeigen. Aber selbst wenn nicht, ist Österreich lang nicht so zerrissen wie es manche gern hätten.

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VON ANNELIESE ROHRER

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