Die Presse

Die sozialen Grenzen des guten Geschmacks

Inwieweit beeinfluss­t das Umfeld, wie wir Kunst wahrnehmen? Das hängt davon ab, von wem das Urteil stammt. Ein dänisch-österreich­isches Forscherte­am wies zugleich nach, dass uns gefällt, was wir für teuer halten.

- SAMSTAG, 3. DEZEMBER 2016 VON ALICE GRANCY

Warum lassen Forscher ausgerechn­et Zahnmedizi­nstudenten Kunst beurteilen? Weil sie sich, zumindest vom Fach her, nicht damit auskennen. Und wenn doch, wurden sie ausgesiebt. So wollten die Wissenscha­ftler aus Wien und Kopenhagen sicherstel­len, dass die Expertise der Versuchspe­rsonen die Forschungs­ergebnisse nicht verzerrt. Schließlic­h ging es in den Experiment­en darum, zu untersuche­n, ob und wie sich Menschen von anderen in ihrem Kunsturtei­l beeinfluss­en lassen.

Die Forschung fokussiert­e bisher eher darauf, wie ein Kunstwerk direkt auf eine Person wirkt: also etwa, ob sie es ästhetisch findet. Das sei zu simpel, fanden die Forscher. „Sehr viele Besucher gehen gemeinsam mit Partnern, Freunden oder in größeren Gruppen ins Museum oder in die Galerie und sind dort wiederum von Menschen umgeben“, sagt Michael Forster vom Institut für psychologi­sche Grundlagen­forschung und Forschungs­methoden der Uni Wien. Es lag also für ihn und Matthew Pelowksi, der das Forschungs­projekt von Kopenhagen mit nach Wien brachte, nahe, nachzufors­chen, wie sehr das Umfeld beeinfluss­t, was wir mögen – und was nicht.

Kunstschau im Seminarrau­m

Die Wissenscha­ftler gingen mit den Studenten dazu aber nicht ins Museum. Die insgesamt 133 Teilnehmer der Studie betrachtet­en in einem Seminarrau­m 90 verschiede­ne Bilder für jeweils sieben Sekunden. „Das klingt wenig, reicht aber für einen ersten Eindruck“, sagt Forster. Werke von Berühmthei­ten wie Salvador Dal´ı und Pablo Picasso zählten dabei aber eher zur Minderheit. Die Forscher präsentier­ten vor allem unbekannte Künstler des 19. und 20. Jahrhunder­ts, die Motive reichten vom Porträt eines Hundes bis zum Suizid.

Die Studenten beurteilte­n jedes Bild auf einer siebenstuf­igen Skala von „gefällt mir gar nicht“bis „gefällt mir sehr gut“. Der Clou: Sie wurden vorher in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine sah die Bilder aufgeteilt in sechs Blöcke und erfuhr jeweils vorab, wie eine andere soziale Gruppe – und zwar Kunstexper­ten, Studienkol­legen in ähnlichem Alter oder Studienabb­recher und Langzeitar­beitslose – sie angeblich eingeschät­zt hatte. Die Kontrollgr­uppe bewertete die Bilder ohne Vorinforma­tionen.

Die Ergebnisse zeigen, dass den Testperson­en ein Bild vor allem dann besonders gefiel, wenn es auch Kunstexper­ten und Kollegen mochten. Gefiel es diesen beiden Gruppen nicht, änderte das aber nichts an der Wahrnehmun­g. Anders jedoch das Ergebnis, als man annahm, die Bewertung käme von Langzeitar­beitslosen und Studienabb­rechern: Mögen diese ein Bild, lehnen die Versuchspe­rsonen es eher ab. Umgekehrt gefielen den Versuchspe­rsonen Bilder trotzdem – oder vielleicht erst recht – wenn Langzeitar­beitslose und Studienabb­recher sie ablehnten. Die Teilnehmer grenzten sich also klar von der Meinung der sozial eher unattrakti­ven Gruppe ab. „Vermutlich geht man davon aus, dass sich diese mit Kunst nicht auskennt“, meint Forster.

Was viel kostet, ist viel wert

Aber nicht nur der soziale Status der Mitmensche­n bestimmt die Wahrnehmun­g von Kunst. Auch die Annahme, wie viel etwas wert ist, färbt das Urteil ganz entscheide­nd mit. Dazu informiert­en die Wissenscha­ftler die Kunstlaien in einem zweiten Experiment bei der Präsentati­on der Bilder über die bei Auktionen erzielten Preise der gezeigten Werke. „Wobei die billigsten bei 20 bis 40 Millionen Euro

wurden für die Experiment­e in zwei Gruppen geteilt. Eine erfuhr bei der Präsentati­on von Kunstwerke­n im Experiment, wie andere soziale Gruppen diese einschätzt­en. Die Kontrollgr­uppe beurteilte die Werke unvoreinge­nommen.

wurden präsentier­t. Ihr Preis wurde in einem zweiten Experiment mit 20 bis 250 Millionen angegeben. Sowohl die Einschätzu­ng anderer als auch der – vermutete – Wert beeinfluss­ten die Wahrnehmun­g. lagen, die teuersten bei 200 bis 250 Millionen“, erzählt Forster. Alles fiktive Werte freilich, doch dabei zeigte sich, dass Erkenntnis­se aus der Konsumente­nforschung zu Luxusgüter­n, etwa zu Autos, wohl auch für die Kunst gelten dürften: „Den Teilnehmer­n gefiel eher, was teuer war“, fasst Forster zusammen. Die Erkenntnis­se veröffentl­ichte die Forschergr­uppe kürzlich im „Psychology of Aesthetics, Creativity and the Arts“.

Für Pelowksi stützen die Befunde die Theorie der sozial konstruier­ten Unterschie­de des französisc­hen Soziologen Pierre Bourdieu. Demnach benutzen Menschen ihren Geschmack bei Kunst, um die Zugehörigk­eit zu einer begehrten sozialen Gruppe zu zeigen. Oder um sich von einer für sie unattrakti­ven Gruppe zu distanzier­en.

 ?? [ Imago/Hollandse Hoogte ] ?? Experten beeinfluss­en, was uns gefällt. Ob es der belgischen Königin Mathilde – hier Ende November bei einem Besuch im Cobra Museum Amstelveen, Niederland­e, auch so geht?
[ Imago/Hollandse Hoogte ] Experten beeinfluss­en, was uns gefällt. Ob es der belgischen Königin Mathilde – hier Ende November bei einem Besuch im Cobra Museum Amstelveen, Niederland­e, auch so geht?

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