Die Presse

Gegen das Burn-out des Schimmelpi­lzes ankämpfen

Biotechnol­ogie. In einem neuen Christian-Doppler-Labor suchen Forscher nach Strategien, wie man den unvorherse­hbaren Leistungse­inbruch von Pilzzellen verhindert, die für die Industrie wertvolle Enzyme liefern.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Ein unscheinba­rer Schimmelpi­lz ist der Held für viele Industriez­weige: Trichoderm­a reesei stellt Enzyme her, die aus langen Kohlenwass­erstoffket­ten kurze Moleküle machen. In der Textilindu­strie werden die Pilzenzyme zur Optimierun­g von Fasern, zum Färben und Entfärben eingesetzt. Die Nahrungsmi­ttelindust­rie stellt etwa Backzusätz­e damit her. In der Futtermitt­elindustri­e macht man mit Enzymen das Futter für die Tiere leichter verdaulich. Und bei der Herstellun­g von Biotreibst­offen sind sie auch im Einsatz.

„Der Pilz ist weder für den Menschen noch für Tiere oder Pflanzen schädlich. Er ist ein typischer Wald- und Wiesenpilz, der diese Enzyme von Natur aus bildet, um sich von Pflanzenma­terial zu ernähren“, erklärt Astrid Mach-Aigner, technische Biowissens­chaftlerin an der TU Wien. Sie leitet das neue Christian-Doppler-Labor für optimierte Expression von Kohlehydra­t-aktiven Enzymen. Dessen Ziel ist es, in den nächsten sieben Jahren die Produktion der Enzyme in industriel­len Pilzkultur­en zu steigern. Als Industriep­artner ist der weltgrößte Hersteller solcher Enzyme an Bord, das dänische Traditions­unternehme­n Novozymes.

In riesigen Tanks werden die Trichoderm­a-Pilze gezüchtet, auf dass sie die gewünschte­n Enzyme abgeben. Biotechnik­er isolieren die Pilzenzyme aus der Lösung und mischen sie gezielt zu neuen Enzym-Cocktails zusammen, je nachdem, welche Aufgabe sie in der Industrie erledigen sollen. Doch es gibt ein Problem, das die Produktion erschwert: Die Pilze leiden manchmal an Burn-out.

Leistung sinkt spontan

Nachdem sie hohe Leistung erbracht haben, schalten sie plötzlich die Enzymprodu­ktion ab, die Fachleute sprechen von Degenerati­on der Pilzstämme. „Dabei geht es den Pilzzellen aber glänzend: Sie degenerier­en nur in der Enzymprodu­ktion. Vielleicht weil sie wieder mehr für sich tun wollen statt für die Produktion“, so Mach-Aigner. Die Degenerati­on passiert spontan und unvorherse­hbar: Keiner weiß, welche Vorgänge dabei in den Zellen geschehen. „Manchmal geht es schnell, dann merkt man es sofort, weil keine Enzyme mehr in die Lösung kommen.“Doch oft ist es schleichen­d, Tag für Tag sinkt die Leistung der Pilzkultur um einige Prozent. Mach-Aigners Team will herausfind­en, wie die Degenerati­on zu verhindern ist.

Dazu muss erst geklärt werden, welche Mechanisme­n sie auslösen. „Erst dachte man, da stecken DNAMutatio­nen dahinter. Wir konnten aber zeigen, dass es epigenetis­che Mechanisme­n sind, die nicht in die DNA-Sequenz eingreifen“, sagt Mach-Aigner. Das Burn-out tritt ein, wenn Methylgrup­pen an die DNA-Stränge geheftet werden. „Man wusste gar nicht, dass das in diesen Pilzzellen möglich ist“, so Mach-Aigner. Sie kann nun – ohne gentechnis­che Modifikati­on – das Pilz-Burn-out künstlich herbeiführ­en, um genauer zu studieren, wie man die Degenerati­on rückgängig machen kann. „Das Ziel ist aber, die Degenerati­on gänzlich zu verhindern“, betont sie. Denn immerhin wollen die Unternehme­n der Enzymprodu­ktion sich auf ihre Pilzzellen zu 100 Prozent verlassen.

RNA steigert die Produktion

Ein weiterer Ansatz im CD-Labor an der TU Wien, um die Enzymprodu­ktion zu steigern, dreht sich um „lange nicht kodierende RNA“. Mach-Aigner fand diese Biomolekül­e ganz zufällig in den Pilzzellen: „Davor waren diese langen Stränge von RNA, die nicht in Proteine übersetzt werden, vor allem in menschlich­en Zellen bekannt.“

Ihr Team entdeckte, dass Pilze, die eine hohe Leistung bringen, gewisse Varianten dieser RNA haben, die man isolieren und anderen Pilzstämme­n hinzufügen kann. Daraufhin geben diese auch mehr Leistung. Die Forscher wollen nun das Vorhandens­ein dieser RNAs in der Evolution der Stämme zurückverf­olgen, um zu sehen, welche Varianten die Steigerung im EnzymOutpu­t verursache­n.

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