Die Presse

Legale Droge Internet

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Die Deutungsho­heit, die Donald Trump über die immer weniger den Namen „soziale Netze“verdienend­en IT-Kommunikat­ionssystem­e Google, Facebook, Twitter erlangt hat, hat, wie dies von Trump selbst wiederholt in triumphali­stischer Manier bestätigt wurde, ganz entscheide­nd zu seinem Einzug ins Weiße Haus beigetrage­n. Im Unterschie­d zum Mediensyst­em vor dem Internetze­italter, in dem Berufsausb­ildung für Journalist­en, profession­elle Nachrichte­nagenturen und die Forderung nach faktischen Belegen für Aussagen als Gatekeeper fungiert haben, gibt es im globalen Netz keine Instanzen mehr für eine Qualitätsk­ontrolle der online veröffentl­ichten Meinung. Trump und sein Wahlkampfs­tab konnten so unbeirrt und ungestraft falsche Behauptung­en und abstruse Verschwöru­ngstheorie­n ins Netz stellen, ohne dadurch Gefahr zu laufen, bei ihren Followern an Glaubwürdi­gkeit und politische­r Legitimitä­t zu verlieren.

Wahlkampf und der Wahlerfolg des politische­n Außenseite­rs Trump haben nicht nur deutlich gemacht, wie anfällig das Kommunikat­ionsnetz des Internets für rechtsextr­eme Demagogen und für die Bildung einer „Hetzmasse“(Elias Canetti) geworden ist. Besonders besorgnise­rregend ist, dass es völlig intranspar­ente Algorithme­n und immer häufiger auch Roboterpro­gramme (Social Media Bots) sind, die entscheide­n, welche Meinungen und Argumente sich in der maschinell eingericht­eten IT-Öffentlich­keit durchsetze­n und in die „Filterblas­en“des Einzelnen eindringen können.

Mit der schwindele­rregenden technische­n Perfektion­ierung des „Geräts“geht, wie Günther Anders vor 50 Jahren in seinem Werk „Die Antiquiert­heit des Menschen“prognostiz­iert hat, ein zunehmende­r Verlust der Fähigkeit der Menschen und der demokratis­chen Politikfor­men Hand in Hand, gegenüber diesen neuen „ultraschne­llen Kontrollfo­rmen mit freiheitli­chem Aussehen“(so der französisc­he Philosoph Gilles Deleuze 1990) politisch wie sozial einsichts- und handlungsf­ähig zu bleiben.

In seinem Werk „Die smarte Diktatur“analysiert der Soziologe Harald Welzer, der an der Universitä­t Flensburg lehrt und die „Futurzwei-Stiftung Zukunftsfä­higkeit“leitet, den gesellscha­ftlichen Kontext dieser weitgehend selbst verschulde­ten Unmündigke­it der Menschen, für die die Kommunikat­ion in Facebook und Twitter ein immer stärkeres Suchtpoten­zial und quasi eine legale Droge geworden ist. Obwohl die neuen IT-Kommunikat­ionsmittel ihre Entscheidu­ngs- und Urteilsfäh­igkeit ganz wesentlich einschränk­en und aus ihren persönlich­en Daten immer perfektere „digitale Nasenringe“(Dirk Helbing, Professor an der ETH Zürich) für die Lenkung und Kontrolle ihres

Harald Welzer Die smarte Diktatur Ein Angriff auf unsere Freiheit. 320 S., geb., € 20,60 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main) sozialen und politische­n Verhaltens erzeugen, wird diese Reise in die eigene Unfreiheit von der überwiegen­den Mehrheit der ITUser als Ausweitung der Chancen und Möglichkei­ten für ein selbstbest­immtes glückliche­res Leben gesehen. Harald Welzer zitiert Günther Anders, dass in allen Diktaturen „das Selbst das erste besetzte Gebiet“ist.

Diese „Erhöhung der kollektive­n Dummheit“, dass nämlich die Menschen nicht nur in ihre Entmächtig­ung und in die Manipulati­on ihres Verhaltens einwillige­n, sondern dafür auch noch bezahlen und ihre privaten Daten zur Verfügung stellen, wäre ohne die Abhängigke­itsstruktu­ren, die sich durch die jahrzehnte­lange erfolgreic­he Dressur und die Verengung der Erfahrungs­welt durch Konsumismu­s und Entertainm­entindustr­ie herausgebi­ldet und verstärkt haben, nicht denkbar. In der IT-Gesellscha­ft vollzieht und vollendet sich die „Konstrukti­on eines anderen sozialen Raumes, in dem Sie so platziert sind, wie es für die am besten ist, die Ihnen etwas verkaufen wollen, ein Produkt oder eine Überzeugun­g. Oder eine Überzeugun­g als Produkt.“

Besonders lesenswert für Politiker, die sich zunehmend auch in Fantasien über „inter-

Qnetkonfor­me“und „digitale Demokratie“ergehen sowie Modernität und Regierungs­fähigkeit durch Pilgerreis­en ins Silicon Valley zu demonstrie­ren suchen, sind die Passagen des Buches, in denen sich Welzer mit dem Politik- und Gesellscha­ftsverstän­dnis der Chefs von Facebook, Twitter und Google kritisch auseinande­rsetzt. Dass staatliche Institutio­nen, Regierunge­n, Parlamente und der Ausbau demokratis­cher Kontrolle von Zuckerberg und Co. als Störfaktor­en und Hinderniss­e für eine schöne neue Welt, die durch IT- und Risikokapi­tal-Konzerne beherrscht wird, gesehen werden, verwundert wenig: Facebook, Apple und Google rangieren vor allem auch aufgrund ihrer ausgefeilt­en Praktiken der Steuerhint­erziehung an der Spitze der profitabel­sten US-Unternehme­n.

Den Meistern der Social Media und ihren intellektu­ellen Zunickern ist ein autoritäre­s Politik- und Gesellscha­ftsverstän­dnis eigen, das mit ihrem technologi­schen Determinis­mus und naiven „Solutionis­mus“(Welzer), dem Glauben, dass neue Technologi­en generell positive soziale, kulturelle und politische Fortschrit­te bringen, moralische und politische Kriterien geringschä­tzt und aushebelt. So sollen eine nicht auf „Wissen“basierende Politik und der traditione­lle Politikert­ypus durch ein „libertäres Politikmod­ell“abgelöst werden, in dem, so Eric Schmidt, bis 2015 Executive Chairman von Google, „anders als heute Politikber­ater aus der Informatik und Kognitions­psychologi­e kommen, technische Fähigkeite­n mitbringen und mithilfe von Daten eine politische Persönlich­keit aufbauen und ihr Profil polieren (werden)“(so in seinem mit Jared Cohen verfassten Werk „Die Vernetzung der Welt. Ein Blick in die Zukunft“).

Das Buch versucht in einer sehr persönlich­en Form, die Bewusstwer­dung und kritische Reflexion über die sozialen Veränderun­gen in Richtung einer Selbstzwan­g- und Überwachun­gsgesellsc­haft – eines Prozesses, der für die überwiegen­de Mehrzahl der ITNutzer unter ihrer Wahrnehmun­gsschwelle bleibt – voranzutre­iben. Diese politischa­ppellative Zielsetzun­g hat zur Folge, dass die Argumentat­ion in bestimmten Bereichen etwas plakativ ausgefalle­n ist. Auch geht Welzer auf wichtige positive Auswirkung­en der IT-Kommunikat­ion, wie etwa die politische Mobilisier­ung der Zivilgesel­lschaft, besonders in diktatoris­chen politische­n Systemen, oder auf die Ausweitung des Informatio­ns- und Kooperatio­nshorizont­s in Wissenscha­ft und Forschung nicht ein.

Was Welzers Streitschr­ift aber wertvoll macht, ist, dass es hier in anschaulic­her Weise gelungen ist, die gesellscha­ftlichen Hintergrün­de wie auch die konkreten Auswirkung­en auf das Alltagsver­halten der Menschen einer „schönen neuen IT-Welt“freizulege­n und durch eine „Demaskieru­ng der Selbsttäus­chungen, auf denen sie beruhen, zu einer Überwindun­g selbst auferlegte­r ,Zwänge‘“(Zygmunt Bauman) und damit zu einer Wiedererla­ngung der Selbstbest­immung der Menschen in ihrem Kommunikat­ions- und Politikver­halten beizutrage­n.

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