Die Chopin-Ballade spielen können
Dann der entscheidende Hinweis eines ehemaligen Theaterkritikers der „Times“auf einen Kurs für begeisterte Amateure im französischen Lot-Tal. Fünf Jahre lang traf Rusbridger dort eine Woche im Juli auf Gleichgesinnte aus verschiedensten Berufen und in unterschiedlichem Alter – auf einen ehemaligen Börsenmakler, eine Lehrerin, eine Psychotherapeutin, einen Ingenieur, einen Fundraiser, einen Physiologen und Gary, der in seinem Leben schon vieles war. Er sollte am Ende einer solchen Woche Rusbridgers Leben entscheidend verändern, als er zum Abschluss eines der anspruchsvollsten Werke der Klavierliteratur, die erste ChopinBallade, spielte. Genau das hatte sich nun auch Rusbridger vorgenommen: Er wollte das Stück innerhalb eines Jahres aufführungsreif erarbeiten.
Bald schienen der „WikiLeaks“-Skandal und der Telefon-Abhörskandal des „News of the World“-Magazins einen Strich durch diese Rechnung zu machen. Rusbridger war von seiner Obsession so besetzt, dass er nicht mehr zurückkonnte. Er benötigte nicht zwölf, sondern 16 Monate, um sich dieses Stück zu erobern. Dazu befragte er auch prominente Pianisten – wie Alfred Brendel, Murray Perahia, Emanuel Ax oder Daniel Barenboim – zu Interpretations- und technischen Fragen. Am Ende hatte er es – zuweilen begleitet von Nervosität und Selbstzweifel – geschafft, nicht nur Chopins erste Ballade konzertreif zu spielen, sondern zu zeigen, dass einen nichts aufhalten soll, seiner Leidenschaft zu frönen. Weder ein fordernder Beruf noch das Alter. Man muss sich nur Zeit nehmen.
Ein brillant geschriebenes, inspirierendes Buch; zugleich eine Einladung, auch selbst einmal auf Rusbridgers Spuren zu wandeln. Freilich hätte einem kundigen Lektor auffallen können, dass Schubert weder Klavierquartette noch „Kinderszenen“komponiert hat.
Alan Rusbridger Play it again Ein Jahr zwischen Noten und Nachrichten. 480 S., geb., € 25,70 (Secession Verlag, Zürich)
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